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Der Wichtigste fehlt heute

Von Walter Hämmerle

Leitartikel

Wenn sich heute in Oslo die Gästeschar erhebt, um dem diesjährigen Friedensnobelpreisträger Ehrerbietung zu erweisen, so wird die wichtigste Person, der Preisträger selbst, fehlen. Die chinesische Regierung verweigerte Liu Xiaobo die Ausreise, stattdessen wird der Schriftsteller und Bürgerrechtler in einem Gefängnis in der Provinz Liaoning eingesperrt festgehalten.


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2009 wurde er zu elf Jahren Haft verurteilt. Sein Einsatz für die Menschenrechte ist in den Augen Chinas nichts anderes als ein Beitrag zur "Untergrabung der Staatsgewalt".

Zumindest 19 Staaten haben sich in diesem Fall der Metternichschen Sichtweise Pekings angeschlossen und boykottieren die Preisverleihung. Teils wohl aus ehrlicher Überzeugung hinsichtlich der Gefährlichkeit freier Bürger, wie etwa im Falle von Russland und Kuba, teils aus pragmatisch-wirtschaftlichen Überlegungen. Serbien beispielsweise gibt offen zu, dass man wegen dieser Frage doch bitte sehr nicht die "strategischen Beziehungen" mit China gefährden werde. Bis zur Wertegemeinschaft Europa ist es noch ein langer Weg.

China betrachtet den Friedensnobelpreis für einen seiner prominentesten Regimekritiker als Provokation durch einen Westen, der sich dem Rest der Welt moralisch überlegen dünkt. Für Chinas Führung steht die territoriale Integrität ihres Reiches und die Aufrechterhaltung ihres politischen Allmachtanspruches ganz oben auf der Prioritätenliste. Aus diesem Blickwinkel sind die Menschenrechte allenfalls ein Problem saturierter westlicher Wohlfahrtsstaaten. Aus Pekings Perspektive besteht nämlich Chinas größte Herausforderung darin, seine territoriale und soziale Implosion zu verhindern.

Liberale Demokratien können - schon aus eigenem Überlebensantrieb heraus - diese Prioritäten zulasten freier Bürgerrechte niemals gutheißen. Akzeptieren tun sie sie in ihrem grenzenlosen Hang zu Pragmatismus ohnehin schon genug.

Dabei mag schon stimmen, dass die Vergabe der Friedensnobelpreise durch das norwegische Komitee in den letzten Jahren einen Hang zugunsten der US-Diplomatie aufweist. Im Gegenzug sorgen die schwedischen Kollegen, die für die Vergabe des Literaturnobelpreises zuständig sind, dafür, dass dem Westen fast alljährlich ein Spiegelbild seiner hässlichen Seiten vorgehalten wird.