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Der widersprüchliche Arbeitsmarkt

Von Klaus Huhold

Wirtschaft

Die Slowakei kämpft mit hoher Arbeitslosigkeit. Gleichzeitig beklagen Unternehmen, dass ihnen die Fachkräfte fehlen. | Deshalb wollen Industrie und Politik nun mit österreichischer Unterstützung die duale Ausbildung forcieren.


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Bratislava/Dunajska Streda. In der riesigen Werkshalle herrscht ohrenbetäubender Lärm. Ein Mann, muskulös und mit Tätowierungen am Arm, hämmert ein Stück Metall zurecht, ein paar Schritte weiter sprühen Funken vor einem Schweißer auf, der eine schwarze Schutzmaske trägt, daneben gießen zwei Arbeiter in einer Wanne Beton. Wenn die einzelnen Metallteile fertig lackiert, poliert und zusammengesetzt sind, wenn der auf einzelne Platten gegossene Beton getrocknet ist, dann sind begehbare Tresore fertig, wie sie etwa Banken benötigen. Die österreichische Firma Wertheim fertigt diese genau so wie Komponenten für Fahrstühle und Rolltreppen in der Südslowakei, in Dunajska Streda, dort, wo die ungarische Minderheit in der Slowakei zu Hause ist.

Das 1852 gegründete Wiener Unternehmen war eine der ersten westlichen Firmen, die den Sprung über die Grenze wagten. Bereits seit 1990 produziert Wertheim in der Slowakei. Walter Taxberger, der Bereichsleiter für die Sparten Fahrzeugbau und Schweißen in Dunajska Streda, war von Anfang an dabei. "Mit vier Leuten habe ich hier in der Slowakei angefangen", berichtet der Niederösterreicher. Heute sind auf dem Gelände in Dunajska Streda, wo immer wieder neue Werkshallen errichtet werden, rund 500 Leute beschäftigt. Zudem unterhält Wertheim zwei weitere kleinere Werke mit ein paar Dutzend Mitarbeitern in der Slowakei und ein gemeinsames Werk mit der Firma Schindler.

Viel Industrie und viel österreichische Produktion

Die Entwicklung von Wertheim spiegelt in gewisser Weise auch die der Slowakei wider. Das Land hat nach der Wende und dem Fall des Kommunismus viel Industrie angezogen. Fast jeder größere Flachbildschirm, den sich österreichische Haushalte zulegen, stammt mittlerweile aus der Slowakei, zudem ist das Land ein Zentrum der Automobilindustrie, Volkswagen, Peugeot-Citroen oder Kia lassen hunderttausende Fahrzeuge in der Slowakei fertigen. Und aus Österreich haben etwa 500 Firmen Produktionsstätten in dem Nachbarland. Österreich ist der drittgrößte Investor in der Slowakei, die Bande sind eng, Kanzler Werner Faymann wird auch heute, Dienstag, am österreichisch-slowakischen Wirtschaftsforum teilnehmen.

Manager verschiedener Konzerne geben immer wieder dieselbe Antwort, was die Slowakei als Standort attraktiv mache: Die Arbeiter seien zumeist gut ausgebildet und motiviert - und die Arbeitskraft sei billig. So zwischen 800 und knapp über 1000 Euro bekommt etwa ein Schweißer, ungelernte Arbeiter verdienen in Fabriken rund um Bratislava um die 500 Euro, der Mindestlohn liegt bei rund 350 Euro.

Zu viele Kfz-Mechaniker,zu wenige Werkzeugmacher

Vor der Wirtschaftskrise galt die Slowakei als Boomland, und auch nun wird für das Jahr 2014 mit einer Wachstumsrate von um die drei Prozent gerechnet. Angetrieben wird das Wachstum von der Industrie und den damit verbundenen Exporten. Doch auch wenn hier Analysten durchaus von einer Erfolgsgeschichte sprechen, hat diese ihre Tücken. Es herrscht ein großes Gefälle zwischen der West- und Mittelslowakei, wo sich die Industrie konzentriert, und dem Osten des Landes, der infrastrukturell hinterherhinkt. Gleichzeitig sind im Großraum Bratislava die Lebenserhaltungskosten derart gestiegen, dass die Gehälter kaum mehr nachkommen. Und die Arbeitslosigkeit beträgt etwa 14 Prozent, bei Jugendlichen lag sie zuletzt gar bei mehr als 35 Prozent.

Doch die Slowakei ist hier mit einem scheinbaren Widerspruch konfrontiert, der auch andere Länder betrifft: Die Industrie beklagt einen Mangel an Fachkräften, den Betrieben fehlen geeignete Lehrlinge. Die Gründe, die Personalmanager nennen, kommen einem aus Österreich bekannt vor: Lehrberufe hätten viel weniger Prestige als eine Matura oder ein Universitätsstudium. Und diejenigen, die sich für eine Lehre entscheiden, würden zu sehr die gleichen Berufe wählen. So produziere das Land wesentlich mehr Kfz-Mechaniker, als es benötige, sagt Jaroslav Holecek, der Vorsitzende des slowakischen Automobilverbandes bei einem Gespräch mit Journalisten. Dabei würden etwa Werkzeugmacher oder Dreher benötigt - aber davon gibt es zu wenige. Bis zu 150.000 Fachkräfte könnten laut jüngsten Untersuchungen der Slowakei in den nächsten drei Jahren fehlen.

Deshalb startet die Slowakei nun eine Bildungsoffensive. Wurden Lehrberufe bisher an Schulen erlernt, soll nun auch dem Modell der dualen Ausbildungen, bei dem in Schulen und Betrieben ausgebildet wird, Raum gegeben werden.

"Wir müssen die Ausbildung besser mit den Bedürfnissen der Arbeitswelt vereinen", sagt der slowakische Bildungsminister Peter Pellegrini bei einer Pressekonferenz. Diese findet in den Räumlichkeiten der Niederlassung der österreichischen Wirtschaftskammer (WKO) in Bratislava statt, was kein Zufall ist. Denn die WKO hat ein Pilotprojekt mitinitiiert, an dem sich auch die österreichischen Firmen Miba, HTP, ZKW und Pankl beteiligen, die alle unter anderem die Autoindustrie beliefern. 33 Lehrlinge haben bereits an der Berufsschule in Zlate Moravce ihre Ausbildung zu Metalltechnikern und Mechatronikern begonnen, die mit Matura abschließt. Die Erfahrungen aus diesem Projekt sollen dann in ein neues Gesetz zur Ausbildung einfließen, das 2015 stehen soll, berichtet Minister Pellegrini. Die duale Ausbildung und das Erlernen von Berufen an schulischen Zentren sollen dann nebeneinander existieren.

Duale Ausbildung gab es bereits im Kommunismus

Österreich und Deutschland pflegen das duale System, und es wird immer wieder als einer der entscheidenden Gründe genannt, warum die Jugendarbeitslosigkeit in diesen beiden Ländern im europäischen Vergleich gering ist (wobei das freilich auch mit der wirtschaftlichen Gesamtstärke zusammenhängt).

Pellegrini betont aber, dass die Slowakei das österreichische Modell nicht eins zu eins kopieren könne. Vielmehr wolle sein Land das Beste aus den verschiedenen Systemen und den eigenen Erfahrungen herausdestillieren.

Die Slowakei hatte auch schon einmal die duale Ausbildung: während des Kommunismus. Warum sie wieder abgeschafft wurde, dafür hört man verschiedene Gründe: weil alles, was aus dem Kommunismus kam, mit einem Mal als schlecht galt, oder auch, weil die Privatisierung nach der Wende so ungeordnet ablief, dass der Staat die Lehrlingsausbildung an sich nehmen musste.

Doch auch die duale Berufsausbildung ist kein Allheilmittel: In Österreich ist der Werkzeugmacher ebenfalls ein Mangelberuf. Die Situation ist allerdings nicht so angespannt wie in der Slowakei. Dort drohe auch der Automobilindustrie, die für rund 26 Prozent der slowakischen Export sorgt, ein Mangel an Fachkräften, berichtet Holecek von der Interessensvertretung. "Ich glaube nicht, dass wir deshalb einen Rückfall erleiden", sagt er. "Aber wir werden stagnieren. Das ist der Beginn des Sterbens." Deshalb brauche man jetzt Veränderungen.