Stadtschulratspräsidentin hält bewusst am System des Vorjahres fest.
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Wien. Er wurde "ethisch nicht vertretbar", "zeitlich schlecht angesetzt" und "datenschutzrechtlich kritisch" geschimpft. Dennoch wird der Wiener Lesetest - der Kernpunkt der 2011 nach den schlechten Pisa-Ergebnissen eingeleiteten Leseoffensive an den Schulen - heuer unverändert starten. Allein die Testtage sind etwas früher gewählt: Statt wie im Vorjahr Ende April, werden nun bereits am 29. Februar alle 14.829 Schüler der vierten Klasse Volksschule und am 1. März die 15.651 Schüler der achten Schulstufe (Hauptschule, Neue Mittelschule, AHS) getestet, wie Wiens Stadtschulratspräsidentin Susanne Brandsteidl (SPÖ) am Mittwoch vor Journalisten erklärte.
Das Ergebnis des vorigen Lesetests, dessen Erstellung und Durchführung laut Stadtschulrat rund 80.000 Euro gekostet hatte, hatte für Aufruhr gesorgt: 24 Prozent der Zehnjährigen und 19 Prozent der 14-Jährigen sind demnach Risikoschüler und können kaum sinnerfassend lesen.
"Diesen Test zur Individualdiagnose heranzuziehen, ist ein generelles Missverständnis", meint der Bildungsexperte Stefan Hopmann dazu und beharrt damit auf seiner Kritik. Anhand eines punktuellen, "mehr oder weniger zufälligen" Tests könne man keine Aussage über die konkrete Lesekompetenz jedes einzelnen Schülers treffen und "diese dann auch noch dem Schülerakt beilegen".
Selbst wenn das Ergebnis bei einigen tatsächlich deren Lesekompetenz widerspiegle - alle anderen schicke man mit einem falschen Urteil durchs Leben, weil das Ergebnis neben Schülern und Eltern den Lehrern, Direktoren, Schulinspektoren und weiterführenden Schulen übermittelt wird. Der Test, so wie er praktiziert wird, eigne sich ausschließlich für das Monitoring, die anonyme, systematische Erfassung der Lesekompetenz unter Wiens Schülern.
"Es ist gut und sinnvoll, wenn die weiterführenden Schulen die Lesetestergebnisse erfahren", kontert Brandsteidl im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Die Schulnoten seien ja auch kein Geheimnis. Die Übermittlung der Ergebnisse sei datenschutzrechtlich abgesegnet worden.
Individualtests für eine gezielte Förderung
"Es geht ja vor allem darum, dass man die Schüler gezielt fördern kann", stimmt ihr Alfred Schabmann, Bildungspsychologe an der Universität Wien, zu. Zu den im Zuge der Wiener Leseoffensive gestarteten (verpflichtenden) Fördermaßnahmen zählen unterrichtsbegleitende Intensivkurse, Sprachförderkurse und "Crashkurse". Für diese Projekte wurden Lehr- und Lernmaterialien entwickelt. Besonders leseschwache Schüler - im Vorjahr 5000 - werden nach fünf Monaten Förderung nachgetestet.
Dass es "geschickter wäre, die Kinder früher in ihrer Schullaufbahn zu testen", räumt allerdings auch Schabmann ein. Diesbezügliche Kritik war im Vorjahr von Christine Marek, damals Klubobfrau der ÖVP-Wien, gekommen. Sie schlug vor, die Kinder bereits in der dritten und siebenten Schulstufe zu testen, um noch am alten Schulstandort gezielt gegensteuern zu können. Hopmann ergänzt: "Wenn in der Achten herauskommt, dass ein Kind nicht lesen kann, ist es reichlich spät. Da kann man fast nichts mehr machen. Förderprogramme ab der ersten Klasse wären sinnvoll."
Brandsteidl betont allerdings, dass der Zeitpunkt des Tests bewusst beibehalten wurde. Es seien die natürlichen Einschnitte in der Schullaufbahn, an denen die Lesekompetenz getestet werden solle. Außerdem gehe es auch darum, Testergebnisse und Werte vergleichen zu können. Ziel sei, die Zahl der Risikoschüler zu reduzieren. Der Lesetest soll daher künftig jedes Jahr durchgeführt werden - solange, bis die Schüler "deutlich besser abschneiden".