SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer hat den ehemaligen Bosnien-Beauftragten und österreichischen Botschafter bei den Vereinten Nationen in Genf, Wolfgang Petritsch, für die Nationalratswahl am 24. November als Zugpferd nach Wien geholt. Im Interview mit der "Wiener Zeitung" weist der Spitzenkandidat und mögliche künftige Außenminister auf eine bevorstehende Richtungsentscheidung hin und geht mit der schwarz-blauen Koalition hart ins Gericht. Eine Regierungszusammenarbeit mit der ÖVP unter Obmann Wolfgang Schüssel hält er nur für schwer möglich - "das würde von keiner Seite gewünscht".
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"Never say never", aber eine Koalition mit der ÖVP unter Schüssel "würde von keiner Seite gewünscht", betont Petritsch. Schüssel habe ja "in einer seltenen Offenheit schon klar gemacht, dass sein bevorzugtes Szenario die Fortsetzung mit der FPÖ wäre". Prinzipiell sieht er jedoch durchaus Möglichkeiten einer Zusammenarbeit - sowohl mit der ÖVP als auch den Grünen.
Als Sauerstoff benötigen Koalitionen aber gegenseitiges Vertrauen: Das Problem bei der Volkspartei sei daher das gebrochene Wort des Bundeskanzlers nach seiner Oppositionsansage im Jahr 1999 - nicht nur gegenüber den ÖsterreicherInnen, sondern auch gegenüber den EU-AußenministerInnen. "Dieses ganze Desaster wäre nicht notwendig gewesen, wenn Herr Schüssel sein Versprechen - nämlich ,Nicht mit Haider' - gehalten hätte", erinnert Petritsch an die Zeit der Sanktionen.
Mit der kommenden Wahl sieht er nicht nur die Chance, Österreich wieder "den ihm gebührenden Platz in der EU" zu verschaffen. Es seien auch Fortschritte im Land notwendig "nach dem vielfachen Stillstand und diesen Rückschritten, die wir gerade im Bereich Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit erlitten haben".
Die Bilanz von Schwarz-Blau sei "niederschmetternd". Petritsch sieht großteils gescheiterte Projekte - vom Nulldefizit über die Steuerreform bis hin "zu den verschiedenen unsozialen Steuern und Abgaben", die "in der Tat ein Skandalon in der österreichischen Innenpolitik und Sozialpolitik darstellen". Als wichtigen Beitrag zur demokratischen Stärkung des Landes wertet er die Entschädigungen an die Opfer des Nationalsozialismus.
Österreich stehe nun vor einem der wichtigsten Kreuzungspunkte in der politischen Geschichte des Landes: "Gibt es die Fortsetzung dieses gescheiterten schwarz-blauen Kurses, oder gibt es eine Alternative, die das notwendige Neue für Österreich bringt", begründet Petritsch seinen nunmehrigen Wechsel in die Politik. 1999 hatte er noch abgelehnt, als ihn der damalige SPÖ-Vorsitzende Viktor Klima für die Europawahlen als Zugpferd anheuern wollte. Es war ihm sehr wichtig erschienen, seine internationale Tätigkeit fortzusetzen.
Petritsch sieht jetzt aber auch einen wesentlichen Neuansatz in der SPÖ. Unter Gusenbauer habe sich die Partei "sehr stark verändert", was auch entscheidend war für den nun gesetzten Schritt in die Politik.
Das große Ziel der SPÖ bei dieser Wahl ist das Brechen der schwarz-blauen Mehrheit. Ob dies auch mit den ins Team geholten Kandidaten Josef Broukal und Gertraud Knoll zu erreichen ist, zweifelt Petritsch nicht an. Diese würden auch Bevölkerungsgruppen über das linke Lager hinaus ansprechen, die "viel Verständnis dafür haben, dass man sich um Alte und Behinderte kümmert".
Knoll stehe dafür, dass "in der kalten Welt der Globalisierung das soziale Moment in der Politik nicht zu kurz kommt". Broukal hält auch er für ein wichtiges Signal für Modern Times in Österreich.
Die EU-Osterweiterung sieht der Spitzenkandidat als Erweiterung des europäischen Friedensprojekts. Es gelte, die sich auftuenden Chancen zu nützen, aber auch entstehende Probleme zu neutralisieren und damit jenen Bevölkerungs- und Berufsgruppen zu helfen, "die Gefahr laufen, unter die Räder zu kommen". Die Veto-Keule lehnt Petritsch entschieden ab.
Für Wien selbst sieht er vor allem positive Folgen, denn im modernen Europa "werden immer mehr die Städte zu den Motoren der wirtschaftlichen Entwicklung und sozialen Veränderung". Die Erweiterungsskeptiker könne man mit diesen Argumenten überzeugen.
Wie die jüngsten Umfragen zeigen, wird die kommende Nationalratswahl ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Petritsch ist sich bewusst, dass es besonders auf die Bundeshauptstadt ankommt. In Wien hat die SPÖ im Jahr 1999 37,8 Prozent erreicht. Auf ein Wahlziel will sich der Spitzenkandidat nicht festlegen, aber "wir brauchen jede Unterstützung".
Die Alternativen sieht Petritsch für den 24. November klar auf dem Tisch liegen. "Wichtig ist, dass diesmal die Bürger wirklich eine Wahl haben."