Zum Hauptinhalt springen

Der Wohlstand im Osten wächst

Von Marina Delcheva

Wirtschaft

Der Handel mit CEE legt zu, die Migration in Richtung Westen nimmt ab. Österreich fehlen deshalb mehr Arbeitskräfte.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 3 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Der Handel mit Osteuropa floriert. Die österreichischen Exporte in die östlichen EU-Nachbarstaaten, aber auch nach Russland, in die Ukraine und den Westbalkan sind im ersten Halbjahr laut Statistik Austria um 17 Prozent gestiegen. Corona-bedingt gab es im Vorjahr wegen des ersten Lockdowns ein Minus von 10 Prozent. Der Warenaustausch hat aber heuer das Vorkrisenniveau in einigen Ländern deutlich überschritten. Der intensive Handel ist auch ein Zeichen dafür, dass der Wohlstand in der Region wächst. Und das wird für den heimischen Arbeitsmarkt zum Problem, weil der Leidensdruck, für den Job die Heimat zu verlassen, sinkt; auch im Niedriglohnsektor.

"Der Exportzuwachs ist eine Mischung aus Nachholeffekten und Preiseffekten", erklärt Richard Grieveson, stellvertretender Direktor des Wiener Instituts für internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw), gegenüber der "Wiener Zeitung". Die derzeit starke Inflation treibt den Preiseffekt stark an. Aber bei einigen Ländern steckt mehr dahinter. Polen ist mittlerweile Österreich fünftwichtigster Handelspartner vor Frankreich. "Das Land hat die Krise sehr gut überstanden. Wirtschaftlich ist die gesamte Region tendenziell besser durch die Krise gekommen als Westeuropa", so Grieveson.

Kaum Arbeitslosigkeit

Der Wohlstand in Osteuropa wächst. Das war vor Corona so und die Pandemie hat diese Entwicklung auch nicht gebremst. Tschechien hat beispielsweise mit 2,8 Prozent laut Eurostat die geringste Arbeitslosenrate in der gesamten EU, in Polen beträgt die Arbeitslosigkeit 3,4 Prozent, in Rumänien 5,1 Prozent. Zum Vergleich: In Österreich sind es laut Eurostat 6,1 Prozent.

"Österreich ist für mich einfach nicht mehr attraktiv", erzählt Gabriela S. Sie hat in den vergangenen sieben Jahren in Salzburg als Kellnerin und Kundenbetreuerin in einem Reiseunternehmen gearbeitet. Nun kehrt die studierte Tourismusmanagerin nach Bulgarien zurück. "Mittlerweile kann ich mir mit meinem dortigen Gehalt (um die Kaufkraft bereinigt, Anm.) den gleichen Lebensstil leisten wie in Salzburg. Und ich muss keine Miete zahlen und habe Familie und Freunde da."

Auch Ökonom Grievenson meint: "Der Unterschied im Einkommensniveau ist geringer, als es auf dem Papier aussieht." Zwar ist das Durchschnittsgehalt in allen osteuropäischen Ländern um teilweise mehr als die Hälfte geringer als in Österreich. Aber auch die Lebenserhaltungskosten und die Preise sind niedriger. Außerdem steigt das Lohnniveau.

Die gute wirtschaftliche und die weniger gute demografische Entwicklung in der Region wird für den österreichischen Arbeitsmarkt aber zunehmend zum Problem. Jahrelang haben die Länder Zentral- und Osteuropas ihre Arbeitslosigkeit in Richtung Westeuropa exportiert. Und die westlichen Länder wie Österreich oder Spanien haben ihren Fachkräftemangel in nahezu allen Branchen mit dem Zuzug aus Osteuropa kompensiert. Jetzt stockt diese Entwicklung aber.

Arbeitsmarkt unter Druck

Einerseits fehlen durch die Migration der letzten Jahre in den osteuropäischen Ländern Arbeitskräfte, weshalb Firmen mit höheren Löhnen werben. "Wir sehen beispielsweise in den vergangenen Jahren einen Brain Gain in Richtung Serbien und Nordmazedonien", sagt Grieveson. Das bedeutet, dass immer weniger gut qualifizierte junge Menschen in Richtung Westeuropa auswandern, andere kehren etwa nach dem Studium wieder zurück. Hinzu kommt die Demografie, die hier wie dort zunehmend zum Problem wird. Die Bevölkerung wird immer älter und immer weniger Menschen im erwerbsfähigen Alter stehen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung.

Für den österreichischen Arbeitsmarkt verheißt beides jedenfalls nichts Gutes. Vor allem der Tourismus und der Niedriglohnsektor leiden unter dem Fernbleiben der (Saison-)Arbeitskräfte aus den östlichen Nachbarstaaten. Und auch im Gesundheitswesen hätte ein Ausfall von Arbeitnehmern aus dem Ausland negative Folgen. Österreichweit sind aktuell fast 114.000 Stellen ausgeschrieben, rund 27.000 Zeitarbeitsjobs sind offen.

Zwar sei Österreich dank seines Bildungs- und Sozialsystems und der hohen Gehälter noch immer ein attraktives Zuzugsland, meint Grieveson. Der Leidensdruck vieler Osteuropäer, ihre Heimat zu verlassen, sinkt aber dank des wirtschaftlichen Aufschwungs in der Region. Die Digitalisierung hat das verstärkt. Die Pandemie hat gezeigt, dass Homeoffice und Telearbeit in manchen Branchen von überall möglich sind. Das Interesse, von Belgrad, Budapest oder Bukarest aus für österreichische oder deutsche Firmen remote zu arbeiten, steigt jedenfalls.