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Der Wunsch nach Finanzaufsicht schwindet mit dem Leidensdruck

Von Wolfgang Tucek

Analysen

Als erst die US-Institution Lehman Brothers kollabierte und dann die EU-Banken drohten, wie Dominosteine zu kippen, herrschte blankes Entsetzen. Die Ambitionen für die Neuordnung des Finanzmarktes waren plötzlich riesengroß. Neben hunderten Milliarden schweren Rettungspaketen für die Geldinstitute wurde der Ruf nach einer grenzüberschreitenden, ja weltweiten Finanzmarktaufsicht laut.


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"Wenn wir uns angesichts der schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg nicht darauf einigen können, wann soll es dann gelingen", fragte Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso zurecht. Doch nicht einmal er konnte sich dazu durchringen, eine zentrale EU-Finanzmarktaufsicht vorzuschlagen. Der Portugiese wusste, dass das selbst in der Finsternis der Krise keine Chancen auf Verwirklichung gehabt hätte.

Inzwischen wird das Licht am Ende des Tunnels aber immer heller, der unmittelbare Leidensdruck lässt langsam nach. Offensichtlich unter diesem Eindruck haben sich jetzt die EU-Finanzminister auf eine Aufwertung einer grenzüberschreitenden Finanzmarktaufsicht geeinigt.

Das Konzept der EU-Kommission musste dabei noch einmal gründlich Federn lassen. Vor allem die Briten, die sich chronisch um ihren Finanzplatz London sorgen, hatten bis zuletzt Widerstand geleistet.

So bleibt den drei neuen EU-Aufsichten für die Bereiche Banken, Versicherungen und Wertpapierhandel keine Durchgriffsmöglichkeit auf die Institute in den Mitgliedsstaaten. Lediglich Empfehlungen für die nationalen Behörden, in Österreich die FMA, dürfen sie aussprechen. Die betroffenen Finanzminister können die Anregungen jedoch beeinspruchen und mit der einfachen Mehrheit ihrer EU-Kollegen abschmettern.

Auch dürfen keine Anweisungen erteilt werden, die eine Auswirkung auf die Budgets der Mitgliedsstaaten hätten. Die Rekapitalisierung einer Bank, die nach Meinung der EU-Aufsicht auf eine Katastrophe zusteuert, müssen die EU-Länder weiterhin selber für richtig halten. Zumindest wurde am Schluss erreicht, dass der Mitgliedsstaat die Ablehnung einer EU-Empfehlung begründen muss.

Die Briten hatten bis zuletzt dafür gekämpft, die Beweislast den EU-Aufsichtsbehörden anzuhängen.

Heftige Kritik an der Entschärfung des neuen Aufsichtmodells kam aus allen großen Fraktionen des EU-Parlaments, das bei der Neuordnung ein Mitentscheidungsrecht hat. Wieder herrschte Entsetzen. Diesmal allerdings wohl darüber, wie rasch der Ursprung des Gesetzesprojekts in Vergessenheit geraten kann.

"Zahnlos" sei der Kompromiss der Finanzminister, meinte EVP-Vizepräsident Othmar Karas. Die Europäischen Volkspartei (EVP), die Sozialdemokraten, die Liberalen und die Grünen haben gemeinsam erklärt, das nicht durchgehen zu lassen. Welche Chancen ihr Ansinnen hat, wird 2010 zeigen.