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Papst Franziskus hat jüngst sein wirtschaftspolitisches Credo publik gemacht. Ein Beweis für eine päpstliche Unfehlbarkeit war das nicht wirklich.
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Der unlängst publizierte Text trägt den eleganten Titel "Einige Herausforderungen der Welt von heute" und ist eine der härtesten Abrechnungen mit dem System der freien Marktwirtschaft und der Globalisierung, die seit Ausbruch der Weltfinanzkrise 2007 geschrieben wurden. Da ist die Rede von der "Diktatur einer Wirtschaft ohne Gesicht und ohne ein wirklich menschliches Ziel", ja gar von "einer Wirtschaft, die tötet".
Während die Einkommen einiger weniger exponentiell steigen, klagt der prominente Autor an, "sind die der Mehrheit immer weiter entfernt vom Wohlstand dieser glücklichen Minderheit". Es entstehe "...eine neue, unsichtbare, manchmal virtuelle Tyrannei, die einseitig und unerbittlich ihre Gesetze und ihre Regeln aufzwingt. Außerdem entfernen die Schulden und ihre Zinsen die Länder von den praktikablen Möglichkeiten ihrer Wirtschaft und die Bürger von ihrer realen Kaufkraft". Deshalb, so die Conclusio der Schrift, "...müssen wir heute ein ,Nein zu einer Wirtschaft der Ausschließung und der Disparität der Einkommen‘ sagen."
Bemerkenswert an dieser heftigen, an sich aber nicht besonders neuen Anklage gegen die freie Marktwirtschaft ist, dass sie nicht von Attac, dem Schweizer Salonlinken Jean Ziegler oder der studentischen Gruppe Revolutionärer Marxisten (GRM) stammt, sondern vom Heiligen Vater der römisch-katholischen Kirche höchstpersönlich. Papst Franziskus hat sich mit "Einige Herausforderungen" sozusagen als Gottes Wutbürger auf Erden zu erkennen gegeben.
Nun kommt dem Papst, jedenfalls aus katholischer Sicht, zwar ein Unfehlbarkeitsanspruch in Glaubensfragen zu; von einer Unfehlbarkeit des Heiligen Stuhls in volkswirtschaftlichen Fragen war bislang hingegen nicht die Rede. Mit gutem Grund, wie der vorliegende wütende päpstliche Bannstrahl gegen freie Marktwirtschaft und globalen Handel jetzt zeigt. Denn die päpstlichen Auslassungen mögen ja zweifellos von der Sorge um das Schicksal seiner Herde angetrieben sein - wirtschaftlich besonders fundiert sind sie nicht ausgefallen.
Auch wenn Franziskus bestimmte Exzesse des Kapitalismus mit Recht hart kritisiert - dabei völlig zu unterschlagen, dass jenes von ihm attackierte System in den vergangenen Jahrzehnten hunderte Millionen Menschen in China und anderen Entwicklungsländern aus einem Zustand bitterster Armut herausgeführt und ihnen die Partizipation an bescheidenem Wohlstand ermöglicht hat, kann sich der kluge Jesuit Franziskus nicht als besondere intellektuelle Redlichkeit gutschreiben lassen.
Auch dass der Papst seine Herde "zu einem Nein zur Disparität der Einkommen" auffordert, mag ehrlicher Besorgnis geschuldet sein, ist aber eher Teil des Problems denn der Lösung. Denn eine Volkswirtschaft ohne "Disparität der Einkommen" wird ziemlich schnell in Armut und Verelendung enden, weil nun einmal ein höheres Einkommen (also Diaparität) zu den stärksten Motivationskräften gehört, die Menschen dazu bringen, kreativ, unternehmerisch und arbeitsam zu sein. Nun hat auch das Oberhaupt der Christen das gute Recht, ökonomisch eher problematische Ansichten zu vertreten. Jenen, den er dienen will, ist diese wohlstandsaverse Ideologie freilich gar nicht dienlich, eher ganz im Gegenteil.
ortner@wienerzeitung.at