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Druck und Stress in der Arbeitswelt nehmen zu. Nur wenige Betriebe haben die seit 2013 gesetzlich vorgeschriebene Evaluierung zur psychischen Belastung durchgeführt und Maßnahmen gesetzt.
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Wien. Es ist wie in einem Hamsterrad: Für seinen Beruf hetzt und strampelt man sich ab - und das immer schneller. Vor allem aber muss man mit den anderen mithalten. Denn wer strauchelt, der fällt. Druck und Stress in der Arbeitswelt nehmen massiv zu, hat das dritte Strukturwandelbarometer ergeben, das vom Ifes-Institut im Auftrag der Arbeiterkammer (AK) erhoben wird. In der Umfrage unter Betriebsräten in 250 heimischen Unternehmen gaben 65 Prozent an, dass der Zeitdruck im vergangenen Halbjahr gestiegen sei. In Unternehmen, in denen der Einfluss der Betriebsräte sinkt, waren es sogar 87 Prozent.
"Die Mitarbeiter sind am Limit", sagte AK-Präsident Rudolf Kaske anlässlich der Präsentation des Strukturwandelbarometers am Dienstag. Es sei ein Teufelskreis. Denn mit dem steigenden Zeitdruck verschlechtere sich das Betriebsklima - und die psychischen Belastungen nehmen zu.
4 von 10 Erwerbstätigen klagen über psychische Belastung
Der Statistik Austria zufolge klagen bereits 40,3 Prozent der Erwerbstätigen über zumindest eine psychische Belastung. Zeitdruck und Überbeanspruchung werden dabei besonders oft genannt. Zum Vergleich: 2007 waren es 32 Prozent. Erst am Montag hat Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) mit einem ähnlichen Thema aufhorchen lassen: Psychische und psychiatrische Diagnosen lägen 54 Prozent der frühzeitigen Pensionsantritte von Männern zugrunde. Bei den Frauen seien es sogar 58,5 Prozent, sagte er im Klub der Wirtschaftspublizisten.
Um diesem Trend gegenzusteuern, trat bereits mit 1. Jänner 2013 eine Novelle zum Arbeitnehmerschutzgesetz in Kraft. Demnach sind Arbeitgeber verpflichtet, jährlich die psychische Belastung ihrer Mitarbeiter zu evaluieren. Allein: Erst die Hälfte der Unternehmen hat diese der Ifes-Umfrage zufolge durchgeführt, und das meist nur in Teilbereichen. Lediglich ein Viertel habe Maßnahmen gegen psychische Belastungen ergriffen.
"Die Kosten für die Volkswirtschaft sind dadurch enorm", resümierte Kaske. Konkret seien es 3,3 Milliarden Euro pro Jahr, die die Krankenstände aufgrund psychischer Belastungen an Kosten verursachten. Die Zahl dieser Krankenstandstage sei bereits höher als jene aufgrund von Arbeitsunfällen. 3,4 Millionen waren es zum Zeitpunkt der letzten Erhebung 2012 - um 221 Prozent mehr als 1994.
Die "Zeit der Schonfrist für Betriebe" ist laut Kaske vorbei. Statt auf Beratung sollten die Arbeitsinspektoren, die den Stand der Evaluierung überprüfen, endlich auf Strafen setzen. "Nur den Zeigefinger zu heben, ist zu wenig", sagte Kaske und forderte zudem eine Aufstockung der Arbeitsinspektoren. Derzeit sind es 309, die österreichweit im Außendienst tätig sind. Sie führen etwa 60.000 Besichtigungen durch.
Ganz anders sehen es freilich das Sozialministerium, in dem das Arbeitsinspektorat beheimatet ist, und die Wirtschaftskammer (WKO). "Es ist sinnlos, wenn man ein Unternehmen sofort bestraft, und dann passiert wieder nichts", heißt es etwa auf Nachfrage der "Wiener Zeitung" aus dem Sozialministerium. Daher werde vorerst beraten und erst bei der dritten Kontrolle durch das Arbeitsinspektorat gestraft. Es gebe bereits "eine Handvoll Strafanzeigen", heißt es. Dabei handle es sich um Geldstrafen. Die psychische Belastung zu evaluieren sei ein langer Prozess - mit der Zahl der eingesetzten Inspektoren hat das aus Sicht des Ministeriums wenig zu tun.
"Die Evaluierung ist mit sehr viel Aufwand verbunden"
Auch Pia-Maria Rosner-Scheibengraf von der Abteilung für Sozialpolitik und Gesundheit in der WKO sieht die Evaluierung als Prozess. Strafandrohungen seien wenig hilfreich. "Zuerst muss das Unternehmen schriftliche Umfragen, Gruppen- oder Einzelinterviews durchführen, dann setzen zum Beispiel Arbeitsmediziner oder Ergonomen Maßnahmen. Das ist mit sehr viel Aufwand verbunden", sagt sie zur "Wiener Zeitung". Die WKO stehe aber voll und ganz hinter der Evaluierung, weil es ja im Interesse der Unternehmen sei, dass die Mitarbeiter gesund sind.
Im Zuge der psychischen Entlastung für Arbeitnehmer sind laut Kaske die Themen der Arbeitszeitverkürzung und einer sechsten Urlaubswoche aktueller denn je. Immerhin haben Österreicher die zweitlängste effektive Arbeitszeit in Europa, an erster Stelle liegt Großbritannien. Rufe nach einer Ausweitung der maximalen Arbeitszeit von zehn auf zwölf Stunden, wie es die ÖVP forderte, "können in diesem Licht nur zynisch erscheinen".