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Der Zen-Kanzler ist nicht mehr - Alfred Gusenbauer setzt auf neue Wege

Von Walter Hämmerle

Analysen

Der Zen-Kanzler ist nicht mehr. Alfred Gusenbauer versucht es mit einer neuen Strategie. Nun gut, vielleicht wurde er auch mehr oder weniger sanft zu diesem Schritt überredet. Ab sofort will sich Gusenbauer jedenfalls als Macher positionieren, der den Kurs vorgibt. Vorbei mit der zen-buddhistischen Gelassenheit, die der Kanzler bis vor kurzem bei innenpolitischen Geplänkeln an den Tag legte. Die Minister stritten, allein der Kanzler strahlte die Ruhe eines lächelnden Buddhas aus: In der Ruhe liegt die Kraft.


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Dass der Strategiewechsel nicht ohne Risiko ist, weiß der SPÖ-Chef selbst am Besten. Der Zen-Kanzler war vielmehr logische Konsequenz aus den Machtverhältnissen, die diese große Koalition prägen.

Auf der einen Seite eine ÖVP, die - politisch auf Augenhöhe mit der SPÖ - das Vermächtnis ihrer Kanzlerschaft mit Zähnen und Klauen verteidigt; die dem einst belächelten Überraschungswahlsieger jeden Erfolg bis zur Unkenntlichkeit zersauste.

Auf der anderen Seite eine SPÖ, der in der Opposition ihr scheinbar natürliches Machtzentrum, das Bundeskanzleramt, verlorenging. An dessen Stelle stehen nun Landesfürstentümer in Wien, Salzburg und Graz. Deren Loyalität macht an den eigenen Grenzen Halt. Gebaut sind sie auf einen Funktionärsgeist, der sich an den süßen Versprechungen der Oppositionsjahre berauschte.

Und mittendrin Alfred Gusenbauer, der geschafft hatte, was ihm zuvor niemand zugetraut hatte: die Kanzlerschaft zu erobern. Um sie zu behalten, nahm er sogar Anleihen beim ungeliebten Vorgänger. Auch Wolfgang Schüssel verweigerte das Spiel, auf Reden des labilen Koalitionspartners mit Gegenreden zu kontern. Die mediale Empörung über sein Schweigen quittierte er mit eben diesem. Was sonst sollte er auch tun? Als Feldherr und Politiker ist es ratsam, nur Schlachten zu kämpfen, die auch gewonnen werden. Das beste Mittel, einen Streit zu verhindern, ist ihm aus dem Weg zu gehen. In der Politik nennt man das Angriffsflächen vermeiden. Hyperaktivität - auch rhetorische - verträgt sich damit schlecht.

Aber lassen sich so auch Wahlen gewinnen? In den Ländern kaum. Das erklärt den Aufstand der roten Landesfürsten, die sich von der Panik ihrer Funktionäre leiten ließen. Auf Bundesebene wäre es aber spannend gewesen zu beobachten, wen die Bürger zum Sieger küren: Eine medial als Bremser gebrandmarkte ÖVP mit einem finanzpolitischen Asketen an der Spitze, oder eine SPÖ, die ja regieren wollen würde, wenn man sie nur ließe? Letztere mit einem Kanzler, der die Bürger nicht mit schmerzhaftem Reformbedarf nervt und stoische Gelassenheit mit einem Schuss Lebensgenuss verströmt. Es gab schon schlechtere Ausgangslagen.