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Der zerbrochene Stuhl

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Die Schlacht um Aleppo torpediert derzeit die Friedensverhandlungen für Syrien.


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Genf. Nichts könnte die Situation der Syrien-Verhandlungen treffender beschreiben als der abgebrochene Holzstuhl vor dem UN-Hauptgebäude in Genf. Die Skulptur am "Platz der Nationen" wurde zwar in den 1990er Jahren zur Kampagne gegen die Ächtung von Landminen erschaffen, ist heute jedoch aktueller denn je. Das linke vordere Stuhlbein ist gebrochen, der Stuhl droht zu kippen.

An der Kippe sieht wohl auch Staffan de Mistura seine Bemühungen. Der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen für Syrien versucht seit zwei Monaten unermüdlich, am Verhandlungstisch eine Lösung für den Konflikt zu finden, dem in den letzten fünf Jahren bis zu 300.000 Menschen zum Opfer fielen.

Kerry will Feuerpause

US-Außenminister John Kerry ist nach Genf gereist, um noch zu retten, was zu retten ist. Denn de Mistura ist mit seinem Latein am Ende. Für das Scheitern der dritten Runde seiner Gespräche nimmt der Italo-Schwede die Amerikaner und Russen in die Verantwortung. Wenn jemand ein Blutvergießen in Syrien noch stoppen könne, dann diese beiden, betonte er.

Kerry hat sich nun vorgenommen, eine Feuerpause in ganz Syrien durchzusetzen, Zugang für Hilfsorganisationen zur notleidenden Bevölkerung sicherzustellen und auf eine politische Lösung des Konflikts hinzuwirken. Dafür trifft der Amerikaner seinen jordanischen und saudi-arabischen Kollegen in Genf, und er will mit Russlands Chefdiplomaten Sergej Lawrow telefonieren. Moskau, das auf der Seite von Präsident Baschar al-Assad steht, erneuerte am Montag seine Forderung an die Opposition, direkte Gespräche mit dem Regime zu führen.

Parallel dazu macht sich auch der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier dafür stark, die auseinanderbrechenden Genfer Gespräche zu retten. Er habe "bei dem syrischen Oppositionsführer Riyad Farid Hidschab dafür geworben, nach Genf zurückzukehren". Am morgigen Mittwoch will Steinmeier dann in Berlin Hidschab und de Mistura zusammenbringen. Von einer Lösung des Syrien-Konfliktes sei man aber noch "weit entfernt", räumt der deutsche Politiker ein.

Die größte Oppositionsgruppe HNC hat den Konferenztisch verlassen. In den vergangenen Tagen waren die schwersten Kämpfe seit Ausrufung der Waffenruhe ausgebrochen, die die USA und Russland Ende Februar eingefädelt hatten. Zuletzt gefährdeten vor allem tagelange Luftangriffe auf die Stadt Aleppo die Vereinbarung. Nach Angaben der oppositionsnahen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte wurden in Aleppo in den vergangenen acht Tagen 244 Zivilisten bei Bombardements der Streitkräfte sowie Rebellenangriffen getötet. Allein am Wochenende seien fast 30 Angriffe auf Rebellengebiete in Aleppo geflogen worden, erklärte die Beobachtungsstelle mit Sitz in London. Auch am Montag gingen die Kämpfe unvermindert weiter.

Russland habe versichert, nicht in die Angriffe auf Aleppo verwickelt zu sein, will "Le Temps", eine Tageszeitung aus Lausanne, aus Diplomatenkreisen erfahren haben. Gleichwohl will Moskau die syrische Regierung nicht zum Stopp der Luftangriffe auf Aleppo drängen. "Wir werden keinen Druck ausüben, denn die Situation in der nordsyrischen Stadt ist Teil des Kampfes gegen die terroristische Bedrohung", sagte Vizeaußenminister Gennadi Gatilow der russischen Nachrichtenagentur Interfax. Terrorgruppen hätten jüngst auch Ziele in Aleppo attackiert.

Verzweifelte Helfer

Aleppo ist geteilt, den Osten kontrollieren die Aufständischen, den Westen die Regierungstruppen. Die einstige Wirtschaftsmetropole ist von großer strategischer Bedeutung in dem seit April 2011 andauernden Bürgerkrieg.

Zehn Minuten Fußmarsch vom zerbrochenen Stuhl entfernt, sitzt Valérie Babize in ihrem Genfer Büro von "Ärzte ohne Grenzen" und ist deprimiert. Am Freitag waren bei einem Angriff auf das Al-Kuds-Krankenhauses, das von Ärzte ohne Grenzen unterstützt wurde, 50 Menschen getötet worden, unter ihnen Patienten und mindestens sechs Mitarbeiter der Klinik. Babize ist zuständig für Syrien und den Irak, koordiniert Einsätze von Genf aus, kümmert sich um die Öffentlichkeitsarbeit und die vielen privaten Spender, die die Organisation in beiden Ländern unterstützen.

Ärzte ohne Grenzen unterstützte das zerbombte Krankenhaus in Aleppo seit 2012 als wichtigstes Referenzhospital für Kinderheilkunde in der ganzen Region. Das Gebäude sei von mindestens einem Luftschlag direkt getroffen und bis auf die Grundmauern zerstört worden. "Warum Krankenhäuser, warum Kinder?", fragt Babize klagend.

Ständig Bomben auf Spitäler

Immer wieder gerate die Arbeit ihrer Organisation ins Fadenkreuz der Gewalt. Krankenhäuser würden bombardiert, Mitarbeiter entführt, obwohl sie stets betone, dass die Ärzte für alle da seien. "Aleppo liegt durchgehend an der Frontlinie dieses brutalen Krieges", sagt Muskilda Zancada, Landeskoordinatorin in Syrien.

"Nun könnte die ganze Stadt Schauplatz einer Militäroffensive werden, die keinen Winkel ausspart. Die Angriffe auf Krankenhäuser und medizinisches Personal sind nur eine Weise, in der Zivilisten brutal und gezielt angegriffen werden. Sie zeigen, wie vernichtend der Krieg in Syrien geführt wird."

Ärzte ohne Grenzen betreibt sechs medizinische Einrichtungen im Norden Syriens und unterstützt mehr als 150 Gesundheitszentren und Spitäler im ganzen Land, viele davon in belagerten Gebieten. Seit Beginn des Jahres 2016 sind im Norden und Süden Syriens mehrere Spitäler bombardiert worden, darunter sieben von der Organisation unterstützte Einrichtungen. Zahlreiche Patienten und medizinische Mitarbeiter fanden dabei den Tod.