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Der zerplatzte Traum der Wiener Blauen

Von Daniel Bischof

Politik

Nach der Ibiza-Affäre bleiben die Freiheitlichen auf lange Zeit an die Oppositionsbank gefesselt. Eine Analyse.


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Wien. Der Wiener Bürgermeistersessel - lange schon wollte die FPÖ darauf Platz nehmen. Jahrelang träumten die Freiheitlichen davon, die SPÖ zu überholen; die Überlegung, mit der ÖVP nach der nächsten Wien-Wahl eine Koalition abseits der Roten zu bilden, stand im Raum. Mit dem Ibiza-Video sind diese Gedankenspiele vorerst passé. Die FPÖ wird in Wien weiter auf der Oppositionsbank sitzen müssen, ihre Position scheint auf Jahre einzementiert.

Denn die Ibiza-Videos sind gerade auch für die Wiener Landespartei verheerend, mit Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus sind ihre zwei wichtigsten Politiker zurückgetreten. Als möglicher Nachfolger Straches wird Vizebürgermeister Dominik Nepp gehandelt, auch könnte die interimistische Vorsitzende Veronika Matiasek länger im Amt bleiben. Die Parteigremien tagen derzeit, eine Entscheidung wird vermutlich in der Nacht auf Dienstag fallen. Die Präsentation wird dem Vernehmen nach am Dienstagvormittag im Rahmen eines Pressetermins stattfinden.

Dass Strache doch noch an der Spitze verbleiben könnte, wurde von der Partei am Montag ausgeschlossen. Das hatten zuvor vereinzelte Stimmen wie Karl Baron, der Obmann der Freiheitlichen Wirtschaft Wien, gefordert. Auch Strache hatte die Gerüchte durch ein Facebook-Posting - "Jetzt erst recht!" - angeheizt. Zumindest zeigt Barons Stellungnahme aber, dass der Langzeitchef trotz des Skandals und möglicher strafrechtlicher Ermittlungen weiterhin treue Anhänger hat: Strache war seit 2004 Landesparteiobmann, unter seiner Ägide erlebte die Partei einen Aufschwung. 2005 erreichte sie bei den Wiener Landtagswahlen knapp 15 Prozent, 2015 wurde sie mit 30,8 Prozent zur zweitstärksten Kraft.

"Straches Statthalter"

In der Wiener FPÖ ist auch Gudenus aufgestiegen, er ist am Sonntag aus der Partei ausgetreten. Straches Protegé und enger Vertrauter war jahrelang aufgebaut worden. Er lächelte von Plakaten herunter, schoss sich medial auf die rot-grüne Stadtregierung ein und galt als "Straches Statthalter". Er stand für die kommende Wien-Wahl 2020 als Spitzenkandidat in den Starlöchern, falls Strache nicht doch noch einmal kandidiert hätte. Ob Gudenus ein Zugpferd wie Strache gewesen wäre, ist unklar, zumindest aber besaß er einen ansehnlichen Bekanntheitsgrad.

Einen solchen müssen sich andere freiheitliche Funktionäre erst erarbeiten. Die Personaldecke der Wiener Landespartei ist dünn. Diese wird derzeit interimistisch von der zweiten Präsidentin des Wiener Landtags, Veronika Matiasek, geleitet; Klubobmann Anton Mahdalik ist bisher durch eigenwillige Aktionen aufgefallen. Zuletzt verkleidete er sich in einem Video als Cowboy und erklärte, dass die Stadtregierung Hunde hasse. In der Causa Strache ist er nun mit Rücktrittsforderungen der Neos und der Grünen konfrontiert. Mahdalik hat nämlich jene Pressemeldung über Haselsteiner geschrieben, die Gudenus auf Wunsch der "Oligarchentochter" in Umlauf gebracht haben soll (siehe Seite 6). Mahdalik betonte, dass diese Aussendung keine Auftragsarbeit für Gudenus oder sonst jemandem gewesen sei.

Auch Nepps Bekanntheitswerte sind noch ausbaufähig. Der Vizebürgermeister ist zwar medial zuletzt mehrfach aufgetreten, der 37-Jährige dürfte für weite Teile der Wählerschaft aber noch ein unbeschriebenes Blatt sein. Bis zur nächsten Wien-Wahl, die voraussichtlich im Herbst 2020 stattfinden wird, hat die neue blaue Führungsriege noch ihr Profil zu schärfen.

Und selbst wenn der Neustart gelingen und gute Wahlergebnisse eingefahren werden sollten, dürfte die Wiener FPÖ ein Problem haben, künftig einen Koalitionspartner zu finden. Das ohnehin schon unrealistische Farbenspiel Rot-Blau scheint nun gänzlich unmöglich. Und mit den Schwarzen wird man sich wohl, nachdem die Koalition im Bund zerbrochen ist und ein schmutziger Wahlkampf droht, kaum noch zusammenraufen können.

Neuwahlen unwahrscheinlich

Die offene Flanke könnte Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) ausnutzen: Mit vorgezogenen Neuwahlen würde er die FPÖ auf dem falschen Fuß erwischen. Noch bevor sie sich neu aufgestellt und wieder gefangen hat, müsste sie sich auf den Urnengang vorbereitet. Es sprechen jedoch mehrere gewichtige Gründe gegen diese Variante, die Ludwig bereits ausgeschlossen hat.

So fehlt es den Wiener Roten an einem Grund, auf den sie Neuwahlen stützen können. Im Gegensatz zu ihren Kollegen aus dem Burgenland sind sie nicht mit der FPÖ in einer Koalition, sondern mit den Grünen. Die Zusammenarbeit besteht seit 2010, und sie plötzlich aus dem Nichts aufzulösen, ließe sich kaum argumentieren. Daher wäre es den Wählern besonders schwer zu vermitteln, warum sie nach der kuriosen Bundespräsidentenwahl, der EU-Wahl und zwei Nationalratswahlen zu einem weiteren, vorgezogenen Urnengang schreiten sollten.

Wie aus Kreisen der SPÖ Wien zu erfahren war, ist eine andere Strategie wahrscheinlicher: Ludwig inszeniert die rot-grüne Stadtregierung als Hort der Stabilität, die sauber ihre Legislaturperiode beendet, während es im Bund drunter und drüber geht. Mit diesem Kurs könnte auch ein Manko kompensiert werden: Durch den Zusammenbruch der schwarz-blauen Bundesregierung verliert die Wiener SPÖ ihren wichtigsten Reibebaum.

Ein Nachteil offenbart sich aber doch: Der SPÖ wird es im Wien-Wahlkampf schwerfallen, bei ihren Wählern mit dem "Schreckgespenst" einer blauen Machtübernahme zu reüssieren. Genau darauf setzte Ex-Bürgermeister Michael Häupl bei der vergangenen Wien-Wahl 2015 erfolgreich. Das Fehlen dieses Mobilisierungseffekts könnte nun den Grünen und den Neos zugutekommen.