Der wachsende Ärger der Wählerinnen könnte den Ausschlag zugunsten der Demokraten geben.
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Washington/Wien. Als Identifikationsfigur für die durchschnittliche Wählerin in Kansas, New Mexico oder West Virginia taugt Stormy Daniels eigentlich nicht. Schon als Teenager arbeitete die heute 39-Jährige, die mit bürgerlichem Namen Stephanie Clifford heißt, als Stripperin, mit Anfang 20 stieg sie dann als Darstellerin ins Porno-Business ein, dem sie bis heute verbunden geblieben ist. Noch immer taucht sie bei Erotik-Messen zwischen Sex-Spielzeug und Reizwäsche auf, ihre "Make America Horny Again"-Tour führte Clifford im Frühjahr durch 25 Striptease-Clubs im ganzen Land.
Spätestens seit dem 16. Oktober dürften sich viele amerikanischen Frauen aber dennoch mit dem blonden Porno-Star aus Louisiana solidarisieren. An jenem Tag war Clifford von US-Präsident Donald Trump, mit dem sie ein erbitterter Rechtsstreit über eine angebliche Bettgeschichte im Jahr 2006 verbindet, auf dem Kurznachrichtendienst Twitter beschimpft worden. Und wie schon bei anderen Auseinandersetzungen mit Frauen hielt sich Trump dabei nicht lange mit Inhaltlichem auf, sondern zielte schnurstracks auf das Aussehen seiner Kontrahentin. Clifford sei ein Pferdegesicht, heißt es wortwörtlich im Tweet des Präsidenten.
"Eine gewaltige Energie"
Für die republikanischen Kandidaten, die bei den US-Kongresswahlen am 6. November auf einen Sitz im Senat oder Repräsentantenhaus hoffen, sind solch frauenverachtenden Äußerungen des Präsidenten freilich ein Worst-Case-Szenario. Denn die sogenannten Midterms werden - darin sind sich viele Experten in den USA einig - von den Frauen entschieden. So zeigen die Umfragen bereits seit Monaten einen besonders hohen Mobilisierungsgrad der weiblichen Wählerschaft, der sich mittlerweile auch schon an den Urnen widerspiegelt. Dort, wo schon vorzeitig abgestimmt werden darf - wie etwa in Texas, Arizona oder Nevada -, haben Frauen deutlich häufiger vor ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht als Männer. Damit weist der Trend in eine gänzlich andere Richtung als bei vorangegangen Zwischenwahlen. Denn bisher gingen eher die Männer wählen, während die Frauen häufiger zu Hause blieben. Unter den Wählerinnen gebe es eine "gewaltige Energie", sagt die demokratische Senatorin Debbie Stabenow.
Ein Großteil der weiblichen Wahldynamik entspringt dabei der seit seiner Amtsübernahme noch einmal deutlich gestiegenen Empörung über Trump. So hat vor zwei Jahren trotz zahlreicher frauenfeindlicher Sprüche und der Prahlerei, er könne jeder Frau "ganz einfach an die Pussy greifen", immerhin noch 41 Prozent der weiblichen Wählerschaft für den Immobilen-Tycoon aus New York gestimmt. Doch besonders in den vergangenen zwölf Monaten, in denen zahlreiche einflussreiche Männer von der "MeToo"-Bewegung hinweggefegt wurden, sind Trumps Umfragewerte bei den Frauen massiv eingebrochen. Anfang Oktober - also kurz nachdem Trump die Psychologieprofessorin Christine Blasey Ford im Streit um angebliche sexuelle Übergriffe von Verfassungsrichter Brett Kavanaugh nachgeäfft hatte - gaben in einer CNN-Umfrage bereits 63 Prozent der Frauen an, in ihrem Wahlbezirk den Demokraten den Vorzug zu geben.
Rekordzahl an Kandidatinnen
Problematisch für die Republikaner dürfte aber nicht nur der generelle Meinungsumschwung unter den Frauen sein, sondern dass sich zwei besonders wichtige weibliche Wählergruppen zunehmend von ihnen abwenden. So tendieren Frauen in den Vorstädten, die anderes als ihre Geschlechtsgenossinen in den Städten und am Land traditionell Wechselwählerinnen sind, diesmal deutlich stärker als bisher in Richtung der Demokraten. Ähnliches gilt auch für die Untergruppe der akademisch gebildeten weißen Frauen der Mittelschicht, die viele Demoskopen mittlerweile als einen die Wahl mitentscheidenden Faktor betrachten. Mit 44 Prozent hatten sie vor zwei Jahren noch über dem Durchschnitt für Trump gestimmt. Laut einer Umfrage für die "Washington Post" präferieren 62 Prozent der Frauen mit Hochschulabschluss in den besonders hart umkämpften Wahlbezirken nun allerdings Kandidaten der Demokraten.
Ihre Hoffnung, am Dienstag die republikanischen Mehrheiten brechen zu können, zieht die demokratische Parteiführung aber nicht nur aus der weitverbreiteten weiblichen Wut auf den Präsidenten. Für die Oppositionspartei kandidieren diesmal auch so viele Frauen wie nie zuvor: 234 bewerben sich für einen Sitz im Repräsentantenhaus, 22 hoffen auf ein Senatsmandat. Und viele der Kandidatinnen können sich dabei auf die Netzwerke stützen, die im Jänner 2017 entstanden sind, als nach Trumps Vereidigung rund eine Million Frauen im Rahmen des "Women‘s March" protestierend durch die großen US-Metropolen zogen.
Barbra Bead, eine Entwicklungshilfe-Expertin aus Washington, engagiert sich etwa in einer Kampagne namens "Call Your Sister" (Ruf Deine Schwester an). In der Zeit "vor Trump" sei sie "nur eine Wählerin" gewesen, sagt die 37-jährige Anhängerin der Demokraten gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Nun telefoniere sie herum und gehe von Tür zu Tür, um Frauen für den Urnengang zu gewinnen.