Kairo - Auf den Straßen der arabischen Metropolen ist seit der Wiederbesetzung großer Teile der Palästinensergebiete ein Hass auf Israel spürbar wie seit Jahren nicht mehr. Immer häufiger hört man Rufe wie "Öffnet die Tore zum Heiligen Krieg". Denn die Politiker, Studenten, Intellektuellen, Schüler, Hausfrauen und Gewerkschafter, die in diesen Tagen zu Hunderttausenden gegen die israelische Militäraktion protestieren, fühlen sich als Araber persönlich gedemütigt, wenn sie im Fernsehen Bilder von gefesselten palästinensischen Polizisten und dem in seinem Büro umzingelten Palästinenserpräsidenten Yasser Arafat sehen.
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"Ich werde mich selbst in die Luft sprengen", sagt eine ältere, gut gekleidete Demonstrantin in Kairo ins Mikrofon eines verblüfften TV-Reporters, "jawohl, das werde ich tun". Doch der Zorn der Straße richtet sich nicht nur gegen den israelischen Ministerpräsidenten Ariel Sharon, sondern auch immer stärker gegen die Vereinigten Staaten. Dies gilt besonders seitdem US-Präsident George W. Bush Verständnis für die israelische Militäraktion in Ramallah geäußert hat.
Es gibt in diesen Tagen wohl keine Demonstration, in der arabischen Welt bei der neben der israelischen nicht auch die amerikanische Fahne verbrannt wird. Denn die Bevölkerung im arabischen Raum ist überzeugt, dass Washington Sharon grünes Licht für seine Politik der eisernen Faust gegeben hat und dass es deshalb genauso schuldig ist wie der israelische Regierungschef, wenn die israelische Armee palästinensische Polizisten erschießt.
Doch auch für die so genannten gemäßigten arabischen Führer wird die Luft immer dünner. Am Montag riefen Tausende von Demonstranten an den ägyptischen Universitäten Parolen, in denen sie den arabischen Führern Untätigkeit und "mangelnde Unterstützung für das palästinensische Volk" vorwerfen. Dabei stellt sich die Regierung von Präsident Hosni Mubarak genau wie alle anderen arabischen Führer verbal eindeutig auf die Seite des palästinensischen Widerstands. Ägyptens Außenminister Ahmed Maher bezeichnete die jüngsten israelischen Militäraktionen als "geisteskrank". Jordaniens Außenminister Marwan Muashir geht sogar noch einen Schritt weiter und droht indirekt mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Israel, ein Schritt der auch von den Demonstranten in Ägypten immer wieder gefordert wird.
Sollten die Israelis mit der Wiederbesetzung der Autonomiestädte fortfahren, so werden die nächsten Tage für diejenigen arabischen Regierungen, die im Umgang mit Israel einen kompromissbereiten Kurs fahren, sehr schwierig werden.
Um ein Ventil für den Zorn der Bevölkerung zu finden, schlägt inzwischen auch die ägyptische Staatspresse anti-amerikanische Töne an und die Polizei hat Anweisung, selbst Demonstrationen auf der Straße, die eigentlich verboten sind, zu tolerieren, solange diese nicht in Gewalt ausarten.
"Was könnte absurder sein als US-Präsident George W. Bush, der sich auf seiner Ranch in Texas ausruht, und Palästinenserpräsident Yasser Arafat auffordert, die Widerstandskämpfer zu stoppen und das Töten israelischer Zivilisten zu verhindern?", fragt Samir Ragab, der Chefredakteur der Kairoer Tageszeitung "Al-Gumhuria" und trifft damit die vorherrschende Stimmung. "Die Vereinigten Staaten sollten sich als einzige Supermacht und Hauptakteur im Friedensprozess für die Ereignisse in Ramallah schämen".