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Derivate, Scheingeschäfte & Co.: Die Tricks des Jérôme Kerviel

Von Stefan Melichar

Analysen

Er wollte aus der "Kohlenmine" eine Goldgrube machen: Jene Abteilung der Société Générale, in der Jérôme Kerviel bis zum Auffliegen seines Milliarden-Coups tätig gewesen ist, gilt bankintern als wenig prestigeträchtig. Bei den dort abgewickelten Geschäften geht es darum, Risiken zu minimieren. Entsprechend mager sind die Gewinne.


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So ist es möglich, Wetten - etwa auf die Entwicklung von Aktien-Indizes - mit Gegenwetten weitgehend abzusichern. Dabei spielen Derivate eine wichtige Rolle. Diese Finanzprodukte sind an bestimmte Bezugsgrößen gekoppelt. Ihr Wert kann sich aber - je nachdem - auch gegenläufig zu jenem des Basisprodukts entwickeln. Will man also auf der sicheren Seite sein, kauft man sowohl ein Derivat, das an Wert zulegt, wenn - zum Beispiel - der deutsche DAX steigt, als auch eines, das gewinnt, wenn der DAX verliert. Es liegt auf der Hand, dass sich die Profite dabei in Grenzen halten.

Medienberichten zufolge dürfte Kerviel unter anderem an "Futures"-Märkten aktiv gewesen sein. Futures sind Derivate, die ein zukünftiges Geschäft - zum Beispiel den Kauf eines Rohstoffs - zu einem festgelegten Preis fixieren. Fällt der Kurs des Rohstoffs aus irgendwelchen Gründen unter den vereinbarten Preis, muss der Käufer in einem solchen Fall einen Verlust hinnehmen.

Das ist dann kein Problem, wenn man gleichzeitig mit einem anderen Finanzprodukt auf den fallenden Kurs gesetzt hat. Um allerdings auf diese Weise Geld zu verdienen, ist zum einen eine Vielzahl an Geschäften - bei Kerviel sollen es viele tausend gewesen sein - und zum anderen enormes Kapital erforderlich. Nur so scheint erklärlich, dass der französische Händler - nach Angaben der Société Générale - letztendlich auf Risikopositionen im Ausmaß von etwa 50 Milliarden Euro sitzen konnte. Allerdings dürfte Kerviel - so der Vorwurf der Bank - entgegen allen Vorschriften keine Gegenwetten abgeschlossen haben. Diese hätten wohl den Löwenanteil eines möglichen Gewinns sofort wieder aufgefressen, was dem ehrgeizigen Händler laut "Wall Street Journal" ein Dorn im Auge gewesen sein dürfte.

Um bei oberflächlichen Kontrollen nicht aufzufallen, soll Kerviel eine Liste mit fingierten Gegengeschäften geführt haben, die in Wirklichkeit nie abgeschlossen worden waren. Angeblich wusste der Franzose aus mehrjähriger Tätigkeit im Backoffice der Bank, wann seine Bücher genau geprüft werden würden. Knapp davor soll Kerviel die Scheingeschäfte einfach aus dem Computer gelöscht haben, wodurch sämtliche Deals korrekt erschienen. Danach habe er die fingierten Geschäfte wieder eingegeben. Das kurzfristige Ungleichgewicht in den Büchern sei nicht aufgefallen.

Als Kerviel dann doch aufflog, musste die Société Générale auf einen Schlag sämtliche Risikopositionen loswerden. Dabei fuhr die Bank 4,8 Milliarden Euro Verlust ein. Experten zufolge könnten Volumen und Tempo der Notverkäufe die rasanten Kursverluste an den europäischen Börsen Mitte Jänner zumindest verstärkt - wenn nicht sogar ausgelöst - haben.