Banken sollen sich aus ihren Gewinnen finanzieren und nicht durch Schulden.
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"Wiener Zeitung": Mehr als fünf Jahre sind seit der Pleite von Lehman Brothers vergangen und die Bankenkrise ist immer noch nicht überwunden. Könnte sich eine derartige Bankenkrise heute wiederholen - mit einem Wort: Sind wir eigentlich seither klüger geworden?Anat R. Admati: Nein. Wir sind nicht klüger geworden. Die Probleme sind immer noch dieselben. Ich gebe Ihnen ein paar Beispiele: Denken wir an einen mit Sprengstoff beladenen Lkw als Analogie für eine Bank. Eine Bank muss mit Risiko umgehen, und wenn man mit hohem Risiko arbeitet, dann ist man am besten etwas vorsichtig. Was aber machen wir mit den Fahrern dieser Sprengstoff-Lastwagen? Sie kriegen einen Bonus, wenn sie möglichst schnell am Ziel sind. Und diesen Sprengstoff-Lkw-Rennfahrern macht das Risiko wenig Sorgen, weil sie einen Schleudersitz eingebaut haben. Wenn also dieser Lkw in die Luft fliegt, dann ist zwar die halbe Stadt in Schutt und Asche gelegt, aber unsere Rennfahrer haben sich mit dem Schleudersitz gerettet. Die Banker bekommen immer noch Boni für möglichst hohe Profite. Aber ein hoher Profit bedeutet natürlich meist auch ein höheres Risiko. Denn ein bombensicheres Investment mit Superzinsen - das gibt es nur im Traum.
Bringt die neue Basel-III-Bankenregulierung denn nicht eine spürbare Verbesserung? Immerhin: Die risikogewichtete Kernkapitalquote war nach Basel II 2 Prozent, in Zukunft soll sie 4,5 bis 7 Prozent betragen.
Lassen Sie mich es so formulieren: Basel III, das ist so, als würde man die Geschwindigkeitsbegrenzung von 130 auf 120 reduzieren. Wenn Sie mit 120 km/h in eine Betonwand krachen, sind sie genauso tot, als wenn sie das mit 130 km/h tun. Ich könnte es nicht treffender formulieren wie der wunderbare Journalist der "Financial Times", Martin Wolf, der in einer seiner Kolumnen schrieb: "Die Verdreifachung der Anforderungen von Basel III klingt streng, aber nur wenn man nicht bedenkt, dass eine Verdreifachung von fast gar nichts einem immer noch nicht sehr viel bringt." Er hat völlig recht. Dazu gesellen sich eine Menge weiterer Probleme: Es gibt nach wie vor keine klaren Verantwortlichkeiten. Kaum einer jener Banker, die an der Sub-Prime-Mortgage-Krise von 2007-2008 beteiligt waren, wurde jemals zur Verantwortung gezogen. Die Banker erzählen uns auch jede Menge Geschichten: Sie sagen, derartige Krisen seien eben Teil des modernen Finanzsystems. Oder: Solche Krisen sind wie Naturkatastrophen, da könne man eben wenig tun. Die Notenbanker und Politiker sagen wiederum: Wir haben euch vor noch Schlimmerem bewahrt.
Und was ist Ihre Meinung?
Eine Bankenkrise ist kein Erdbeben, und die Architektur des Finanzsystems haben wir selbst in der Hand. Erweist sich das herrschende System als zu instabil, dann benötigen wir eben eine stabilere System-Architektur. Bei dem enormen Level an Komplexität und Interdependenz und Vernetztheit im Weltfinanzsystem musste einfach etwas schiefgehen. Aber lassen Sie mich kurz zum Bild des Erdbebens zurückkehren: Natürlich müssen nach einem Erdbeben die Rettungskräfte helfen. Aber warum erzählen die Banker nicht von den strengen Bauordnungen in den erdbebengefährdeten Zonen Japans oder Kaliforniens? Um zu verhindern, dass die Häuser einstürzen, müssen sie solider gebaut werden. Aber die Banker verwenden nur die Erdbebenanalogie, selten die Bauordnungs-Analogie.
Was ist Ihrer Meinung nach das größte Problem?
Mein Hauptargument ist Folgendes: 1840 waren 50 Prozent des Gesamtvermögens einer Bank Eigenkapital. Im 19. Jahrhundert hafteten die Banker und deren Partner mit einem Teil ihres Vermögens oder gar mit ihrem gesamten Besitz für die Bank. Das ist heute nicht mehr der Fall. Das Verhältnis von Eigenkapital zu Fremdkapital ist in den USA, in Großbritannien und überall sonst in Europa stetig gesunken. In der Finanzdienstleistungsindustrie liegt der Anteil des Fremdkapitals bei fast 90 Prozent. Und das ist verrückt. Nehmen wir mal an, Sie kommen mit 20.000, 30.000 Euro zu Ihrer Bank und wollen einen Kredit für eine Wohnimmobilie, für die sie 400.000 oder 500.000 Euro hinblättern müssen. Wird man Ihnen den Kredit für dieses sehr sichere Investment gewähren? Ich glaube, eher nicht. Solch dünne Eigenkapitaldecken wie in der Finanzdienstleistungsindustrie würden Banker in keinem anderen Bereich durchgehen lassen. Im Durchschnitt liegt die Eigenkapitalfinanzierungsquote in der US-Volkswirtschaft bei rund 30 Prozent. In grundsoliden Wachstumsbranchen wie Biotech oder der Computerindustrie liegt sie zwischen ein paar und fünf Prozent, bei Restaurants bei etwas über 10 Prozent.
Banken sollen sich Ihrer Meinung aus Gewinnrücklagen finanzieren?
Genau. Was ist auch schon dabei? Genauso machen es alle anderen Branchen. So lautet auch mein ultimativer Stresstest: Die Banken sollen auf die Märkte gehen und dort Kapital einsammeln und nicht nach Vater Staat rufen, wenn es einmal haarig wird. Wenn eine Bank auf den Märkten kein Geld bekommt, dann ist dieses Institut wohl dem Untergang geweiht.
Was ist eigentlich das Gefährliche an einer niedrigen Eigenkapitalquote?
Lassen Sie mich die Formulierung umdrehen. Warum ist eine so hohe Fremdkapitalquote bei Finanzierungen so gefährlich? Denken wir an einen Turm aus Bauklötzen. Je höher ich diesen Turm aufbaue, desto labiler wird er. Ein System, das auf Schulden aufgebaut ist, kann sehr leicht aus dem Gleichgewicht gebracht werden. Das Beispiel ist etwa Zypern. Dort ist das gesamte Bankensystem zusammengekracht. Dabei ging es gar nicht um hochkomplexe Derivate oder gebündelte, strukturierte Hypotheken-Papiere wie in der Subprime-Mortgage-Krise in den USA, sondern schlicht um sehr, sehr einfaches, aber sehr, sehr dummes Banking. Man zieht Gelder aus Russland an, verspricht vier oder mehr Prozent Zinsen auf Einlagen. Dieses Geld stecken die Banken dann in griechische Staatsanleihen, die hohe Zinsen bieten, doch plötzlich geht es: Bumm! Und die ganze Sache fliegt in die Luft.
Im Vergleich zu den USA ist der Finanzplatz Europa viel stärker von Banken abhängig. Welche Konsequenzen hat das?
Die Banken haben in Europa nicht das geringste Interesse, das Finanzsystem weiterzuentwickeln. In den USA haben wir viel liquidere, aktivere Anleihe- und Aktienmärkte. In Europa steht das Bankensystem im Zentrum der gesamten Ökonomie. Wenn die Banken dann schwächeln, zieht das die gesamte Wirtschaft runter. Die enge Verquickung von Banken und Politik ist ein weiteres Problem: Banker können jederzeit die Nummer des Kanzlers, Premiers oder Präsidenten wählen und finden Gehör. In der jüngeren Vergangenheit haben die Banker immer wieder die Politik erpresst, haben gesagt, wenn die Politik dieses oder jenes reguliert, dann können die Banken kein Geld mehr verleihen. Dabei liegt das wahre Problem in schlechter Bankenregulierung: Es gibt heute in Europa einige Zombie-Banken, die eigentlich erledigt sind und keine Kredite mehr vergeben können, weil schlicht kein Geld vorhanden ist. Wenn man aber zulässt, dass Banken ihre Verluste nicht realisieren und als untote Finanzinstitute herumgeistern, dann lähmen diese Institute die gesamte Wirtschaft. Die zweite Gefahr: Durch die impliziten Garantien der öffentlichen Hand wurde über die Jahre die Risikobereitschaft gefördert.
Welche Folgen hat dies Ihrer Meinung nach?
Manche Banker sind süchtig nach Risiko geworden. Wenn ich nämlich mit Fremdkapital operiere und die Schulden ohnehin schon gemacht worden sind, dann nehme ich ein höheres Risiko in Kauf. Das führt zu einer völligen Verzerrung. Diese Banker könnten das dann so sehen: Wenn sie in etwas Gutes, Solides mit geringem Risiko investieren, dann schenken sie aus dieser Sicht den Gläubigern Geld. Bei einem riskanten Investment mit geborgtem Geld muss mein Gläubiger das Risiko mittragen, den Großteil der nun aber viel höheren Gewinnmarge - mehr Risiko bedeutet fast immer auch mehr Gewinn - nehme ich aber selbst mit. Jeder, der viel Geld aufnimmt, wird also risikoreiche Investitionen machen, auch wenn Sie vielleicht schlecht fürs Geschäft sind.
Die wichtigste Aufgabe von Banken und der Finanzdienstleistungsindustrie ist die Kapitalallokation. Wir hoffen, dass Banker wissen, wo und wie Geld am produktivsten für uns arbeitet.
Die Aufgabe des Finanzsystems ist es, Kapital dorthin zu lenken, wo es am produktivsten "arbeiten" kann. Gleichzeitig muss das Risiko abgeschätzt und auch verteilt werden. Wir brauchen das Finanzsystem. Wenn wir nämlich keine Banken haben, keine effizienten Zahlungssysteme, keine Versicherungen, keine Anlagemöglichkeiten, dann bleiben uns nur Mikrokredite oder Geldverleiher oder Ähnliches. Eine Volkswirtschaft ohne effizientes Banking kann ihr Potenzial nicht entfalten. Das Problem in Europa, Japan oder den USA ist aber, dass wir in diesem Sektor gewaltige Überkapazitäten aufgebaut haben. Banken und Finanzdienstleister entnehmen immer mehr aus dem Wirtschaftssystem, ohne aber ein Mehr an Produktivität zum System beizutragen.
Aber leider will sich niemand mit den Banken anlegen. Die Politik ist vor allem in Europa eng miteinander verzahnt und die Industrie braucht die Banken ebenso.
Anat Admati ist Professorin für Finanzwirtschaft (Kapitalmärkte, Unternehmensfinanzierung) an der kalifornischen Stanford University. Sie ist zudem Mitglied des Systemic Resolution Committee der Einlagensicherungsbehörde der USA. Zuletzt stellte sie ihre Erkenntnisse beim Weltwirtschaftsforum (WEF) in den Schweizer Bergen in Davos vor.
In ihrem Buch Des Bankers neue Kleider legt Anat Admati gemeinsam mit Martin Hellwig ihre Thesen dar. Demnach ist die Reform der Bankenregulierung, die man sich vorgenommen hatte, unterblieben. Die Bestimmung von Verschuldung der Banken darf nicht allein diesen selbst überlassen bleiben. Die Argumente der Banken gegen höhere Eigenkapitalanforderungen enthalten fundamentale Fehler.