London - Dass Großbritannien nicht der Eurozone beigetreten ist, bereitet Neil Kinnock, Ex-Labour Chef und derzeitiger EU-Kommissions-Vizepräsident, Kopfzerbrechen. Der Politiker empfahl seinen Landsleuten vergangene Woche dringendst, den Beitritt zur Einheitswährung nicht auf die lange Bank zu schieben. Die Mehrheit der Inselbewohner ist von dieser Option aber nicht begeistert. Zu sehr sind die demütigenden Erfahrungen des 16. September 1992, als Großbritannien das Europäische System fixer Wechselkurse verlassen musste, in den Köpfen der Briten verankert.
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Die EU-Kommission sei unter Umständen auch dazu bereit, einer Lockerung der Maastrichter Stabilitätskriterien zuzustimmen, so Kinnock vergangene Woche. Damit versuchte er Argumenten der britischen Euro-Gegner entgegen zu treten, die dramatische budgetäre Einengungen befürchten, sollte Großbritannien erst zur Eurozone gehören. Kinnock ließ überdies durchblicken, dass eine Änderung der Stabilitätskriterien noch vor einem eventuellen Beitritt Großbritanniens ausverhandelt werden könnte. Wenn das Pfund draußen bliebe, wäre das ein Hin- und Herschaukeln zwischen zwei großen Ozeanriesen, dem Dollar zur linken und den Euro zur rechten, so der Kommissions-Vize.
Richard Layard, Professor an der renommierten "London School of Economics" stößt ins gleiche Horn: Großbritanniens Euro-Abstinenz hätte bereits Auswirkungen, die mit Zahlen belegbar seien. Datenmaterial der EU-Kommission würde belegen, dass Großbritanniens Handel mit anderen EU-Partnern seit 2001 im Sinkflug begriffen, während Frankreichs und Deutschlands Warenaustausch mit den EU-Partnern gestiegen sei.
Allerdings: Auf die Einheitswährung angesprochen, reagieren die meisten Briten zurückhaltend bis ablehnend. Schon einmal, ziemlich genau vor zehn Jahren, ist London mit dem Versuch, sich einem einheitlichen Währungsregime einzugliedern, gescheitert. Ein Ereignis, als "Black Wednesday" immer noch in den Köpfen vieler Briten verankert.
"Black Wednesday"
Damals musste das britische Pfund das europäische System fixer Wechselkurse, das als Einleitungsphase zum Euro etabliert worden war, verlassen. Auslöser für das Debakel war die Hochzinspolitik der Deutschen Bundesbank, die eine Inflation als Folge der Wiedervereinigung abwehren wollte. Wegen der dominanten Stellung der Mark übertrugen sich diesen Maßnahmen auf andere europäischen Währungen, Großbritannien stand eine veritable Deflation ins Haus. Das und eine hartnäckige Wirtschaftsflaute ließ zum Sommer 1992 eine baldige Abwertung des Pfund immer wahrscheinlicher erscheinen, die Anleger flüchteten in andere Währungen. Als selbst massive Stützungskäufe der britischen Regierung nicht mehr fruchteten, musste das Pfund das Wechselkurssystem verlassen. Neben dem wirtschaftlichen, vor allem ein moralischer Kollaps.
Anlässlich des zehnten Jahrestages des Debakels brachte der Labour-Abgeordnete Kelvin Hopkins das zum Ausdruck, was viele Briten heute denken: Die "desaströse Entscheidung" der Konservativen unter John Major, dem EU-System fester Wechselkurse beizutreten, habe "drei Millionen Arbeitslose eingebracht" und die Wirtschaft zerrüttet. Heute sei die Arbeitslosenrate in Großbritannien 50 Prozent niedriger als im EU-Durchschnitt, die Wirtschaft erstarkt, der öffentliche Sektor im Aufbau. "Der Euro würde all das gefährden", so Hopkins. "Wenn wir uns dem Euro verschreiben, könnte das der 16.September für Labour werden".
Wirtschaftseliten zögern
Äußerst zurückhaltend verhalten sich auch Englands Wirtschaftseliten. Nur einer von fünf Großunternehmern ist für eine rasche Einführung des Euro, so eine Untersuchung des Meinungsforschungsinstitutes ICM. Den meisten stecken die negativen Erfahrungen aus der Vergangenheit in den Knochen: "Die Auswirkungen des europäischen Währungssystems auf unsere Geschäfte waren zerstörerisch", bringt es John Pilling, Geschäftsführer von "Brintons Carpets"auf den Punkt. 1990 machte seine Firma noch Profite von 7,7 Millionen Pfund, drei Jahre später Verluste von 2,6 Millionen.
Großbritanniens Premier Tony Blair weiß um die massive anti-Euro Stimmung im Land. Dementsprechend vorsichtig ist seine Vorgangsweise: England könne zwar "vor dem Euro nicht davonlaufen", so der britische Premier. Einen Termin für ein Euro-Referendum will er allerdings nicht nennen.