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"Design ist das fehlende Glied"

Von Eva Stanzl

Wissen

Früher ging es um Gestaltung. Heute geht es um Lösungen für globale Probleme.


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Wiener Zeitung:Sie schreiben ein Buch über die Geschichte des Designs in Silicon Valley, dem US-Zentrum für Computertechnologie. Wie darf man sich das Thema vorstellen?Barry Katz: Design ist der "Missing Link" im gesamten System von Silicon Valley, denn es macht Technologie marktfähig. Heute arbeiten mehr Designer in Silicon Valley als irgendwo sonst. Das war aber nicht immer so: Anfang der 1980er Jahre war es nur ein Dutzend. Als die ersten Industriedesigner den Technologiefirmen nahelegten, dass Design deren Entwicklungen verbessern könnte, meinten die Ingenieure: "Wir haben es doch schon entworfen, wollen Sie es etwa anmalen?" Sie verstanden nicht, dass Design mehr ist als Gestaltung. Heute ist es ein Teil des Prozesses der Produktentwicklung, bei dem Designer und Techniker zusammenarbeiten, damit die Menschen ein gut nutzbares Gerät vorfinden.

Wie konnten die Ingenieure von Silicon Valley ihre Innovationen zu Beginn überhaupt verkaufen, wenn sie auf die Hülle keinen Wert legten?

Am Anfang mussten sie sie gar nicht verkaufen. Von 1950 bis 1980 wurde Silicon Valley nur für Technologie-Experten immer wichtiger. Nur eine einzige Firma erzeugte ein Produkt, das sich nicht an die Fachwelt richtete sondern an Konsumenten. Hewlett Packard brachte 1973 den ersten Taschenrechner auf den Markt. Es war revolutionär: Niemand zuvor hatte sich eine Rechenmaschine im Westentaschen-Format vorgestellt. Doch obwohl das Gerät für jedermann sein sollte, kauften es wieder nur Ingenieure oder Vermessungstechniker, weil es 399 Dollar kostete und damit den Gegenwert von 2000 Euro heute. Erst Apple etablierte um 1980 Computertechnologie für Konsumenten.

Brachte die Funktionen oder das Design ihrer Computer Apple den Durchbruch?

Bis dahin wurden Computer in Einzelteilen geliefert, zum Selbst-zusammenbauen. Erst Apple-Gründer Steve Jobs hatte die Idee, dass es für jeden Bastler, der gerne Hardware-Teile zusammensetzte, 1000 Menschen gäbe, die ihren Computer lieber fix-fertig aus der Schachtel nehmen wollen würden. Also verkaufte Apple ihre Rechner in versiegelten Hüllen - was umgehend Fragen aufwarf, wie die Hülle aussehen sollte, was sie vermitteln sollte oder aus welchem Blickwinkel das Keyboard am günstigsten zu betrachten sei.

Wofür steht Design heute?

Früher schrieben Experten Codes für Experten. Dann fragten sich Computerwissenschafter, wie eine Software leicht und intuitiv zu benutzen sei. Heute sind wir vom Beginn an bei Entwicklungsprozessen dabei. Wir entscheiden zwar nicht, wie ein Chip aussehen soll, aber wir geben Ideen, was er alles können sollte.

Unser Arbeitsfeld wird immer breiter. In den 1960ern ging es um Türscharniere - heute müssen wir zudem auch Lösungen gegen Armut, zur Nahrungsmittelproduktion oder zur Altenpflege finden. Alle 15 Minuten entsteht ein neuer Design-Bereich: Mobilitätsdesign, Servicedesign, Design für Konsumenten-Erfahrungen und vor allem Interaction Design: Vom Keilwerkzeug bis zum Smartphone verändern Gegenstände, die wir verwenden, seit sechs Millionen Jahren unser Benehmen und unsere Physiologie. Interaction Design bezieht sich auf die Gestaltung des Zusammenspiels von Funktionen, Verhalten, Produkten und Systemen.

Eine Schreibmaschine bedient man, indem man durch Tippen Spuren auf Papier macht. Das ist so simpel wie ein Befehl. Mit einem Computer hingegen wirkt man zusammen: Es ist ein Feedback-Prozess zwischen Computer und Nutzer. Interaction Designer denken vor, wie der Nutzer über den Computer kommuniziert.



Erfinden Design-Teams Formen des Lebens? Oder reagieren sie auf Gegebenheiten?

In Stanford gibt es ein Studium namens "Design Your Life", in dem Studenten ihre Wertvorstellungen artikulieren und Wege entwerfen zu deren Umsetzung. In diesem Sinn designen wir Erfahrungen oder sozialen Austausch. Erfindungen zeitigen jedoch andere. Designer reagieren auf Erfindungen. Sie werden gerufen, wenn eine Technologie zur Anwendung gebracht werden soll. Wir lösen Fragen wie "die Zukunft des Buches", oder mit welchen Urlaubspaketen man auf die alternde Bevölkerung reagieren könnte. Designer werden somit zu strategischen Planern, die versuchen zu erahnen, was eine Indus-
trie braucht. Auf der Basis derzeitiger Entwicklungen kreieren sie Prototypen von Produkten, die in einem bestimmten Umfeld benutzt werden.

Wie können Designer globale Probleme lösen, etwa wie Sie sagten, das der Welternährung?

Kolumbiens Regierung beschäftigt Designer für Vorschläge, wie sie 1,5 Millionen Familien aus der Armut erlösen kann. Designer kennen Organisationskonzepte, Methoden und Prototypen. Sie arbeiten im Team mit Sozialwissenschaftern, Ingenieuren, Anthropologen oder Psychologen. So gewinnen sie Verständnis, welche Produkte die Menschen brauchen.

Zur Person

Barry M. Katz ist Professor für Design am California College of the Arts in Oakland, Professor für Maschinenbau an der Universität Stanford und wissenschaftlicher Berater von Ideo, führendes Innovationsunternehmen in Silicon Valley. Vor wenigen Tagen gastierte er anlässlich der von Martina Fineder und Thomas Geisler kuratierten Vortragsserie "Design Link" im Museum für Angewandte Kunst in Wien. Im Rahmen der Programmreihe "Design Neue Strategien" diskutieren Theoretiker ebendort über die Rolle von Design heute. http://www.departure.at/de/netzwerkaktivitaeten