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Designed by nature

Von Anita Ericson

Reflexionen

Die Natur ist voller Wunder, man muss sie bloß aufspüren. Das denken sich Bioniker, wenn sie für technische Problemstellungen im Reich der Blüten und Pfoten nach Lösungen suchen.


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en Sie sich schon mal über Kletten gewurmt, die sich in Ihrer Hose oder im Fell Ihres Hundes verfangen haben und nur mühsam abzuklauben waren? So ging es jedenfalls dem Schweizer Ingenieur Georges de Mestral, der oft mit seinen Hunden in der Natur unterwegs war. Statt sich aber bloß darüber zu ärgern, unterzog er die Früchte der Großen Klette einer eingehenden mikroskopischen Betrachtung und entdeckte winzige elastische Häkchen, die auch unter Gewaltanwendung nicht abbrechen. Daraus entwickelte er den textilen Klettverschluss, den er 1951 zum Patent anmeldete. Er agierte aus dem Bauch heraus, indem er der Natur ihre Funktionsweise abschaute - lange bevor der Begriff Bionik (eine Verschmelzung der Wörter Biologie und Technik) geprägt wurde. Heute beschäftigt man sich an Universitäten interdisziplinär mit Bionik, Naturwissenschafter, Ingenieure, Architekten und Designer, aber auch Mediziner, Soziologen, Ökonomen und Philosophen analysieren Funktionsweisen der belebten Natur und legen sie auf ihre Problemstellungen um.

De Mestral war nicht der Erste, der sich die Natur zum Vorbild nahm. Immer wieder ließen sich Forscher von dem, was sie draußen sahen, inspirieren. Otto Lilienthal studierte den Flug der Störche, konstruierte darauf das erste flugtaugliche Gerät, den Hängegleiter, überhaupt und brachte seine Ideen anschließend im Buch "Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst" zu Papier, das heute ein Klassiker der bionischen Literatur ist. Schon viel früher hatte Leonardo da Vinci einen ähnlichen Ansatz: Er analysierte den Vogelflug, schrieb bereits im Jahre 1505 sein Werk "Sul vol degli uccelli" und konstruierte Fluggeräte, Hubschrauber und Fallschirme. Seine Ideen waren seiner Zeit jedoch so weit voraus, dass daraus nie reale Produkte wurden. Trotzdem gilt der große Universalgelehrte der Renaissance als erster Bioniker.

Selten bis gar nie lassen sich Naturbeobachtungen eins zu eins auf die Technik übertragen. Die Natur liefert bloß Anregungen, die aufzustöbern (penible) naturwissenschaftliche Untersuchungen erfordern - und den Geist, das Potenzial solcher Anregungen zu erkennen. Und erst der Forscher, der auf dieser Basis eine Übertragung auf technische Anwendungen entwickelt, bringt die Arbeit zu ihrem bionischen Ende. Ein Beispiel: Eine Katzenpfote macht sich beim Bremsen breit und überträgt somit mehr Kraft auf den Boden als beim normalen Laufen. Das ist zoologisches Wissen. Erst die Idee der Reifentechniker bei Continental, dieses Prinzip auf ihre Reifen anzuwenden, macht daraus eine bionische Lösung: einen Hochleistungsreifen, der im Geradeauslauf über eine schmale Lauffläche und somit wenig Rollwiderstand verfügt. Kommt es jedoch zum Bremsmanöver, ziehen sich die Reifenschultern auseinander und werden - wie die Pfoten einer Katze - breiter. Der Reifen bietet mehr Aufstandsfläche und der Bremsweg verkürzt sich um zehn Prozent.

Eine der bekanntesten bionischen Entwicklungen ist die Anwendung des Prinzips der Haihaut. In den 1970ern untersuchte der Tübinger Paläontologe Prof. Wolf-Ernst Reif die Schuppen von Haien. Besonderes Augenmerk legte er dabei auf schnell schwimmende Haiarten wie den Seidenhai oder den Mako. Er stellte fest, dass diese eine spezielle Strukturierung der Hautoberfläche besitzen. Auf den Schuppen befinden sich scharfkantige, feine Rillen, die parallel zur Strömung ausgerichtet sind. Diese Rillen sind nur unter dem Mikroskop sichtbar und verringern dennoch den Reibungswiderstand beträchtlich. Gemeinsam mit dem Berliner Strömungsmechaniker Dr. Dietrich Bechert baute Reif diese

Hautstrukturen nach und untersuchte sie im Wind- und Wasserkanal. Im Gegensatz zur bis dato herrschenden Meinung, dass glatte Oberflächen am strömungsgünstigsten sind, kamen die beiden zur bahnbrechenden Erkenntnis, dass Mikrorillen durch den verminderten Reibungswiderstand den Energieverbrauch um rund zehn Prozent reduzieren können. Aufbauend auf diesen Forschungen wurde die sogenannte Ribletfolie für den Einsatz im Luftverkehr entwickelt. Ein Versuch mit einem Airbus 320 führte zu einem um drei Prozent verringerten Treibstoffverbrauch. Der Haken an der Sache: Das Aufbringen und Entfernen dieser Folie ist problematisch. Daher ist man dazu übergegangen, Riblet-Lacke zu entwickeln, die die Oberflächen von Flugzeugen aber auch anderen Fahrzeugen, für die man sich besser Aerodynamik erhofft, mit Mikrorillen strukturieren. Zum Einsatz kommen Ribletstrukturen auch an Schiffsrümpfen, wo sie die Besiedelung mit Seepocken verhindern, und, seit den Olympischen Spielen in Sydney, an Schwimmanzügen. In diesen Fastskin-Suits, die von der englischen Firma Speedo hergestellt werden, bestritten amerikanische und australische Athleten ihre Wettkämpfe - ob sie tatsächlich wegen der Haihaut-ähnlichen Anzüge schneller waren, ist in Fachkreisen allerdings umstritten.

Eine weitere nicht glatte Oberfläche hat ähnliche weitreichende Entwicklungen nach sich gezogen wie die Entdeckung von Reif: Der Bonner Botaniker Prof. Wilhelm Barthlott stellte in den 1970ern fest, dass die Oberfläche von Lotusblumen immer sauber ist. Der Traum jeder Hausfrau. Im Rasterelektronenmikroskop fand er noppenförmige Strukturen, an denen die Tropfen abperlen. Auch andere Pflanzen zeigen diesen Effekt wie etwa die Kapuzinerkresse - was, nebenbei bemerkt, auch schon Goethe faszinierte. Jedenfalls räumte Barthlott mit der gängigen These auf, dass glatt gleich sauber sei, und auf Basis seiner Forschungen entwickelte man schmutzabweisende Lacke und Farben, die heute an Fassaden ebenso zum Einsatz kommen wie an Autokarosserien, Dachziegeln oder Tischdecken.

Am Anfang steht immer das Staunen über die Natur. Man kann die Tatsache, dass Geckos über senkrechte Glasflächen laufen können, als gegeben hinnehmen, oder sich darüber wundern. Warum fällt der Gecko nicht herunter? So ein Winzling ist er ja doch wieder nicht - er ist im Gegenteil das größte bekannte Tier, das völlig glatte Wände mühelos hinauf- und hinabläuft. Bei genauerer Betrachtung ist das umso erstaunlicher, als er dabei völlig ohne Klebstoffe auskommt, wie ihn etwa Fliegen oder Käfer zum gleichen Zweck des Laufens über glatte Oberflächen produzieren. Also nahmen amerikanische Biologen den Gecko eingehend unter die Lupe und fanden Milliarden von winzigen Härchen an seinen Fußsohlen. Diese sogenannten Nano-Haare sind jeweils nur rund 200 Nanometer (milliardstel Meter) dick und das reicht aus, um das immerhin bis zu 100 Gramm schwere

Tier an vertikalen Wänden scheinbar kleben zu lassen. Verantwortlich dafür ist ausgerechnet eine der schwächsten Bindungskräfte, die Chemiker kennen: die Van-der-Waals-Kraft, 1896 vom niederländischen Physiker Diderik van der Waals entdeckt. Einfach ausgedrückt sind das im Molekularbereich wirkende, unvorstellbar winzige elektrostatische Anziehungskräfte, die immer dann auftreten, wenn sich zwei Moleküle oder Atome nur nah genug kommen. Nähern sich zwischen zwei Flächen die Moleküle massenhaft an, entstehen Anziehungskräfte, die auch im Makrobereich spürbar sind. Die Härchen an den Gecko-Füßen schmiegen sich beim Aufsetzen eng an jeden beliebig geformten Untergrund, erzeugen so die elektrostatische Anziehung - und der Gecko bleibt kleben.

Auf dieser Erkenntnis versuchen nun ehrgeizige Forscher die Entwicklung eines haftstarken Trockenklebers, der sich mühelos und rückstandsfrei wieder lösen ließe und unzählige Male verwendbar wäre. Noch scheitert man jedoch an der Tatsache, dass man sich hier im Nanobereich bewegt, in dem Manipulationen noch technisches Neuland sind. Wir werden wohl noch ein Weilchen warten müssen, bis wir das ungeliebte Geschenk von der Erbtante in Form eines kitschigen Sonnenuntergangsgemäldes bequem an die Wand pappen, sobald sie ihren Besuch ankündigt - nur um es hernach gleich wieder abzunehmen und gut zu verräumen.

Nägel mit Köpfen hat man hingegen bei Daimler Chrysler gemacht: 2005 wurde das Mercedes-Benz bionic car der staunenden Öffentlichkeit präsentiert. Es sieht extrem plump aus, schafft aber einen Minimalverbrauch von nur 2,8 Liter auf 100 Kilometer. Dieses Auto wurde als Konzeptfahrzeug entwickelt, mit der Vorgabe, sich an Vorbildern aus der Natur zu orientieren. Biologen, Bionik-Wissenschafter und Automobildesigner tauchten ab und fanden nicht den schnellen Hai, auch nicht den wendigen Delphin, sondern ausgerechnet den klobig wirkenden Kofferfisch. Doch dieser hat Eigenschaften, die man sich für ein Auto nur wünschen kann: Er bewegt sich mit wenig Kraftaufwand, ist wendig und hält mit seinem massiven Körper Kollisionen spielend stand. Seine Außenhaut besteht aus sechseckigen Knochenplatten, die einen stabilen Panzer bilden, das verleiht seinem Rumpf hohe Steifigkeit und schützt ihn vor Verletzungen. Außerdem ist sein Körperbau besonders strömungsgünstig. Dazu kommt, dass seine nahezu rechteckige Anatomie einer Pkw-Karosserie sehr ähnelt. Alle diese Erkenntnisse hat man bei der Entwicklung des bislang nur als Prototyp existierenden Mercedes-Benz bionic car einfließen lassen.

Architekten studieren ebenfalls die Natur. Aus der Konstruktion von Spinnennetzen können sie ebenso Anregungen beziehen wie aus dem Aufbau von Schalen und Panzern oder der Anordnung von Blättern. So haben etwa die italienischen Architekten Portoghesi und Gigliotti ein 13-stöckiges Haus nach dem Vorbild von Rosettenpflanzen geplant. Diese Pflanzen sind bekannt dafür, dass sie ihre Blätter in Ausrichtung zur wandernden Sonne stellen, um sich gegenseitig möglichst wenig zu beschatten. Für das Architektenwohnhaus heißt das, dass man die Wohneinheiten so geschachtelt hat, dass sie sich im Sommer gegenseitig vor der starken Sonne schützen, während sie sich im Winter möglichst wenig Sonne wegnehmen.

Aber auch die Riesenseerose Victoria Amazonica ging in die Baugeschichte ein. Ihre Blätter erreichen bis zu zwei Meter im Durchmesser und gehen dennoch nicht unter, dafür sorgt ein Netz von strahlenförmigen und konzentrischen Rippen an der Blattunterseite, die das Ganze stabil hält. Der englische Gärtner und Amateuringenieur Joseph Paxton war von dieser neuartigen Entdeckung, die 1846 England erreichte, so begeistert, dass er nach ihrem Vorbild ein Gewächshaus skizzierte. Ein ziehharmonikaförmig gefaltetes Glasdach entsprach dabei der Blattmembran, Querstege aus Holz übernahmen die Funktion der Verstärkungsrippen. Nach seinem Patent wurde der Crystal Palace, die Ausstellungshalle im Hyde Park zur Londoner Weltausstellung, errichtet. Damit ging er in die Architekturgeschichte ein, ohne jemals etwas von Bionik gehört zu haben.