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Destruktion und Erlösung

Von Karl Weidinger

Reflexionen

Was bringt Rockstars dazu, ihre Instrumente zu zerstören? Der Kulturwissenschafter Otmar Wagner hat sich mit dem "Mythos Gitarrenzertrümmerung" beschäftigt.


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Seit alters her wird der Korpus eines Musikinstruments gerne mit der weiblichen Anatomie verglichen. Jedoch gibt es keine Erwähnungen in der überlieferten Musikgeschichte, dass Geigen, Bratschen oder Kontrabässe je misshandelt worden wären. Mit der rebellierenden Urkraft der Rockmusik trat die Gitarre ihren Siegeszug in der Populärkultur an. Die akustischen Ausdrucksmittel - vorerst noch unverstärkt (analog würde man heute dazu sagen) - erinnerten viele an die Rundungen einer Frau und befeuerten zahlreiche männliche Phantasien rund um den musikalischen Vortrag.

Nur männliche?

Otmar Wagner ist Spezialist für künstlerische Zerfallsprozesse.
© Foto: Weidinger

"Speziell bei der Diskussion rund um Männer und Gitarren hat man festgestellt, dass die Gitarre als Instrument mit beidem belegt wird, sowohl als Phallussymbol wie auch als weibliches Surrogat", sagt der Kulturtheoretiker Otmar Wagner. "Je nachdem, wird die Gitarre entweder gestreichelt oder liebkost - wie man das von Jimi Hendrix seit Woodstock kennt, quasi als pseudosexueller Akt. Auch wird das Instrument als prothetische Verlängerung verwendet, oder wie bei Wendy O. Willams im Post-Punk der 1980er Jahre als Ironisierung eingesetzt. Sie zerstörte ihre Gitarre mit einer Kettensäge, um den Gitarrenhals schließlich als Beute wegzutragen."

Otmar Wagner ist studierter Theaterwissenschafter und beschäftigte sich zuerst mit einem Kompendium über die verwendeten Gegenstände in der Performance-Kunst, um sich dann - aus Interesse und Leidenschaft - in die, wie er es nennt, "Universalgeschichte der dokumentierten Gitarrenzerstörung" zu vertiefen.

Das Phänomen der Zerlegung von Instrumenten begann Anfang der 1960er Jahre im Rahmen der Fluxus-Bewegung gehäuft aufzutreten, erläutert Wagner. Diese Form der Destruktion war jedoch nicht als Zerstörung anzusehen, sondern als eine Art von Verwandlung, als Metamorphose, um Dinge zum Fließen zu bringen (lateinisch: fluxus, fließen). Man verzichtete auf den musikalischen Vortrag, dafür zerstampfte man die Symbole einer starren musikalischen Darbietungsform, die zugleich auch Symbole einer erstarrten Gesellschaft darstellten. "Und deswegen wurden Klaviere, Gitarren, Violinen geschändet, um die Dinge wieder aufzuweichen, zum Fließen zu bringen - und natürlich auch neue Klangergebnisse zu erzeugen."

Aber wurde das tatsächlich jemals als stilistisches Ausdrucksmittel oder gar als genuine Gesellschaftskritik wahrgenommen?

"Die aggressive Grundhaltung war eher gesellschaftspolitisch zu verstehen, denn es war sicher kein musikalischer Klimax, wenn The Who in My Generation nicht nur die Gitarre, sondern gleich ihr ganzes Equipment verwüsteten", meint Wagner. Das schuf auch zusätzliche Probleme. Denn mit dem Dahinscheiden des künstlerischen Handwerkszeugs endete zwangsläufig auch der Vortrag. Alle Instrumente - Bass, Gitarre, Mikrofon und Schlagzeug - lagen funktionsunfähig auf dem Boden. Als ultimatives Statement während eines Konzerts hatte man sich aller musikalischer Ausdrucksmittel beraubt.

Jahrzehnte später bekommt Dave Grohl von den Foo Fighters unmittelbar nach dem Akt der Zerstörung seiner Gitarre ein baugleiches Saiteninstrument - ebenso neu wie unversehrt - wieder umgehängt. Und spielt weiter, als wäre nichts geschehen . . .

Wie fing alles an? Wer hat’s erfunden?

Otmar Wagner braucht nicht lange zu überlegen. Im Vorjahr hat er eine "Lange Nacht der Gitarrenzertrümmerung" im Wiener Werkstätten- und Kulturhaus kuratiert und abgehalten. Pete Townshend, Kopf der britischen Band The Who, trieb den Zerstörungs-Akt zur Bühnenreife. Damals war er Kunststudent im Londoner Stadtteil Ealing und wohnte einer Vorlesung über "autodes-truktive Kunst" bei. Dieses Seminar wurde von Gustav Metzger, einem 1926 geborenen Deutschen, abgehalten. Als einer der ersten "Aktionisten" thematisierte Metzger das Destruktions-Potenzial des 20. Jahrhunderts. "Das Konzept der autodestruktiven Kunst besagt", führt Otmar Wagner aus, "dass bei einem Kunstwerk auch sein Zerfalls- oder Vergänglichkeitsprozess mit eine Rolle spielen muss".

Gitarren-Friedhof

Wenn schon zerstören, dann richtig und konsequent! Der Zweck dieser Kunst, so meint Wagner, könne letztlich nur die Selbstauflösung sein. Townshend bearbeitete die Gitarre immer so, als wollte er sich selbst damit erlösen (so wie andere auch). Gäbe es einen Friedhof für Saiteninstrumente hätte Townshend als habitueller Gitarrenmörder jedenfalls alleine für Überbelegung gesorgt. Laut Wikipedia sollen über dreitausend Musikinstrumente bei seinem Spiel das Zeitliche gesegnet haben. Otmar Wagner kann rund 150 Zerstörungsakte in Bild und Ton dokumentieren.

"Doch mit der Selbstlosigkeit stellte sich der Erfolg ein, bevor Townshend sein Konzept der Selbstauslöschung finalisieren und umsetzen konnte", sagt Wagner. Um sich selbst treu zu bleiben, mussten die vier Bandmitglieder immer wieder ihre gesamte Ausrüstung demolieren. Zu einer Zeit, in der Ausstattungsverträge mit Markenanbietern noch unüblich waren, stellte das die Band vor erhebliche Probleme. Immer wieder mussten zerstörbare Instrumente herangeschafft werden - bei abendlichen Gagen von knapp hundert britischen Pfund. Und die Gitarren sollten ja auch noch einigermaßen klingen, bevor sie ihr Ende auf dem Bretterboden fanden . . .

"Inzwischen hat sich das total konventionalisiert, es gehört quasi zum guten Ton", sagt Wagner, "auf Youtube gibt es Lehr-Videos, die zeigen, wie eine Gitarre kunstgerecht zerstört wird." Und sogar Hardrock-Cafés werden heutzutage mit kollektivem Gitarrenzerstören eröffnet. Otmar Wagner glaubt nicht, dass die Gitarrenzertrümmerung als symbolischer Akt heute "noch irgendeine Bedeutung hat jenseits der Vereinnahmung, nämlich Gewinn aus der Kommerzialisierung der Gitarrenzertrümmerung zu ziehen".

Pete Townshend vernichtete seine letzten Gitarre 2004 in Japan. Man werde schließlich nicht jünger, meinte er, teile sich seine Kräfte besser ein und haushalte sparsamer mit der Energie. Die Gitarren werden’s ihm danken.