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Deutlich weniger Verfahren gegen Eurosünder wegen Sanktionsregeln?

Von Wolfgang Tucek

Analysen

Künftig werden EU-Strafverfahren für Euroländer wegen der Verletzung des Euro-Stabilitätspakts wesentlich unangenehmer, dürften aber vor allem gegen große Mitgliedsstaaten seltener verhängt werden. Das sieht auf den ersten Blick freilich anders aus: Nicht nur wegen der Überschreitung der Drei-Prozent-Grenze für das jährliche Defizit, sondern auch bei höherer Gesamtverschuldung als den vorgeschriebenen 60 Prozent der Wirtschaftsleistung kann es künftig soweit kommen.


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De facto eigenmächtig verschickt die Kommission womöglich auch ein Mahnschreiben, wenn das Haushaltsminus noch unter drei Prozent des BIP liegt, die Schulden oder die Tendenz der Defizitentwicklung aber schlecht aussehen. Dann läuft eine sechsmonatige Frist an, in der das betroffene Euroland überzeugende Maßnahmen zur Umkehr der Schulden- und Defizitentwicklung ergreifen kann.

Gelingt das nicht, droht das Verfahren, das künftig praktisch unvermeidlich finanzielle Strafen nach sich ziehen soll. Nur eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedsstaaten könnte die Einleitung eines mehrstufigen Sanktionsmechanismus bei jeder von der Kommission eingeleiteten Verschärfung stoppen. Mehrere hochrangige Diplomaten in Brüssel halten es für sehr schwierig - wenn nicht unmöglich -, eine solche Mehrheit, die in etwa zwei Drittel aller Stimmen umfasst, gegen einen Vorschlag der Kommission zusammenzubekommen. Die Strafen, die von einer verzinsten Einlage in Brüssel über die Streichung der Zinsen bis zur Einbehaltung des gesamten Betrages reichen, würden de facto automatisch verhängt.

Voraussetzung für alle Sanktionen außer dem Mahnschreiben ist freilich die formelle Einleitung eines Strafverfahrens, die nur mit einer qualifizierten Mehrheit der Mitgliedsstaaten erfolgen kann. Das entspricht exakt der bisherigen Praxis und hat in der Vergangenheit nur selten dazu geführt, dass Defizitverfahren gegen einzelne Mitgliedsstaaten abgeblockt worden waren. Gegen nicht weniger als 15 der 16 Euroländer laufen derzeit Verfahren wegen übermäßigen Haushaltsdefiziten, führen EU-Diplomaten als Beleg dafür an.

Bisher war es aber auch nicht besonders schlimm, von der Kommission gerügt zu werden. Geldstrafen sieht die Prozedur nur theoretisch und als letzten Schritt vor, bisher wurden noch nie welche verhängt. Schließlich wäre es auch nicht sehr zielführend, ein Land, das ohnehin bereits am Rande des Abgrunds steht, per Bußgeld hinunterzustoßen.

Droht künftig allerdings so gut wie sicher eine Strafe, werden die Mitgliedsländer wohl viel stärker versuchen, sich die Verfahren vom Leib zu halten, indem sie Verbündete suchen und die qualifizierte Mehrheit sabotieren. Schönes Beispiel aus der jüngeren Geschichte: Als Frankreich und Deutschland 2005 der Pranger drohte, organisierten sie gemeinsam gleich die Verwässerung des Stabilitätspakt durch maßgeschneiderte Ausnahmebestimmungen für sich selbst.

Siehe auch:EU-Finanzminister einig bei Hedgefonds und Strafen