Schüler mit nichtdeutscher Muttersprache stehen seit langem im Mittelpunkt der Integrationsdebatte.
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Wien. Mehr Deutschkurse, separate Klassen für Schüler mit nicht-deutscher Muttersprache oder Lernen im Klassenverband? Die Parteien sind sich uneins. Dass Österreich mittlerweile eine multiethnische und mehrsprachige Gesellschaft ist, leugnet jedoch niemand mehr und zeigt nicht zuletzt ein Blick in die Schulklassen. Stetig steigt die Anzahl der Kinder mit nicht-deutscher Muttersprache im Schulsystem Österreichs. Im vergangenen Schuljahr hatten rund 234.000 österreichische Schüler eine andere Erstsprache als Deutsch. Das sind laut Medienservicestelle Neue Österreicher/innen 21 Prozent aller österreichischen Schüler.
In Wien: jeder Zweite
In Wien ist der Anteil von Schülern mit einer anderen Erstsprache noch wesentlich höher: 46 Prozent. In der Bundeshauptstadt sprechen mittlerweile zwei Drittel aller Haupt- und Mittelschüler sowie Schüler an polytechnischen Schulen eine andere Erstsprache als Deutsch.
Kein Wunder also, dass dieses Thema hohe Wellen in der Integrationsdebatte schlägt. Seit Jahren kommt vor allem von der FPÖ die Forderung, für Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache separate Klassen zu errichten beziehungsweise ihre Anzahl pro Klasse zu beschränken.
Ein Rückblick
Wieder einmal Bewegung in die Diskussion über den Spracherwerb von Kindern mit nicht-deutscher Muttersprache brachte im Sommer Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP). Er appellierte an die SPÖ, den "ideologischen Widerstand" aufzugeben und sich seinen Plänen anzuschließen. Konkret sollen laut Minister Kinder mit Sprachdefiziten im Zeitraum von einigen Monaten bis zu einem Jahr in gesonderten Klassen unterrichtet werden. Dies betrifft insbesondere Kinder, die während des Schuljahres nach Österreich zuwandern und über keine beziehungsweise kaum Deutschkenntnisse verfügen.
"Sie sollen zuerst in eigenen Vorbereitungsklassen die Unterrichtssprache Deutsch lernen", so Kurz. Damit würde man ihre Integration fördern. Die Dauer koppelt Kurz dabei an die Deutschkenntnisse der Schüler. Er schlägt vor, dass Kinder gleichzeitig bestimmte Unterrichtsfächer wie Turnunterricht oder Bildnerische Erziehung im regulären Klassenverband besuchen.
"Erstsprache wird ignoriert"
Die Pläne des Integrationsministers stießen aber bei der SPÖ auf Widerstand. Die Präsidentin des Wiener Stadtschulrates, Susanne Brandsteidl, steht den separaten Deutschklassen kritisch gegenüber: "Die Unterrichtssprache wird nicht nur im Unterricht, sondern auch in der Alltagskommunikation mit Gleichaltrigen, die die Unterrichtssprache beherrschen, erworben. Allein deshalb kann es nicht darum gehen, isolierte Klassen für Migrantenkinder mit Sprachdefiziten zu bilden", sagte Brandsteidl zur "Wiener Zeitung". Sie betonte, dass ein gemeinsamer Klassenunterricht die soziale Integration der Schüler begünstige. Auch der Wiener Bildungsstadtrat erteilte in einem Interview den Plänen Kurz’ eine Abfuhr: "Sprache lernt man durch zusätzliche Förderung, aber vor allem im Dialog und im Klassenzimmer. Mir ist bei dieser Frage immer ein gemeinsames Miteinander wichtig", so Christian Oxonitsch zu "Kosmo".
Die bisherige Debatte über Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache im Schulsystem berücksichtigt ihr Sprachpotenzial kaum bis gar nicht. Manche Bildungsexperten kritisieren den Fakt, dass man im österreichischen Schulsystem die Erstsprache von Migrantenkindern schlichtweg ignoriert. "Als Kriterium für Schulreife darf ausschließlich die Reife in der Erstsprache herangezogen werden, niemals in der Zweitsprache", so Bildungsexpertin Heidi Schrodt.
Deutschintensivkurse
Schrodt ortet eine Art von Sprachdiskriminierung: "Werden Kinder vom Schulbesuch aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse zurückgestellt, wird ihnen dadurch signalisiert, dass ihre Muttersprache minderwertig ist." Das könne sich laut langjähriger Direktorin der AHS-Rahlgasse und Autorin des Buches "Sehr gut oder Nicht genügend? Migration und Schule in Österreich" negativ auf den Erwerb des Deutschen auswirken. Sie plädiert für einen gemeinsamen Klassenverband, wenn es um das Erlernen der deutschen Sprache für "Quereinsteiger" geht. Modulartige Deutschintensivkurse an Schulen nach schwedischem Modell soll es laut Schrodt nur dann geben, wenn sie zeitlich eng begrenzt sind. Auf die Existenz solcher Intensivkurse weist auch Brandsteidl hin: "Wir in Wien haben sogenannte ‚Neu in Wien‘-Kurse, in denen Kinder intensive Sprachförderung erfahren", so Brandsteidl.
Gespenst der "Ghetto-Klassen"
In der politischen Diskussion werden separate Deutschklassen als "Ghetto-Klassen" abgestempelt. Schrodt rät von der weiteren Verwendung dieses Wortes dringend ab: "Dieser Begriff sollte ab sofort vermieden werden, denn dies dient der Sache nicht."
Gegen diesen Begriff protestierte auch der Wiener ÖVP-Chef Manfred Juraczka, der den Vorschlag seines Parteikollegen Kurz nach gesonderten Deutschklassen unterstützt: "Das hat nichts mit Ghetto-Klassen zu tun, so wie es stets von linker Seite behauptet wird", so Juraczka. Er sieht im Vorschlag eine Initiative für mehr Chancengerechtigkeit und Fairness: "In den Vorbereitungsklassen sollen nicht nur Sprachdefizite ausgeglichen werden. Dieser Unterricht würde auch soziale und gesellschaftliche Komponenten beinhalten", so Juraczka.
Geeignetes Lehrpersonal
Abseits der ideologisch geführten Debatte um separate oder gemeinsame Klassen kämpft das österreichische Bildungssystem immer noch mit einem eklatanten Lehrpersonalmangel, insbesondere im Bereich Deutsch als Zweit- und Fremdsprache. Selbst wenn man gesonderte Klassen für eine Deutschförderung errichten würde, bliebe die Frage, wer die Kinder überhaupt unterrichten würde. Auch das mehrsprachige Lehrpersonal mit Migrationshintergrund fehlt immer noch weitgehend an Österreichs Schulen.