)
Präsident Macron will den Freundschaftsvertrag von 1963 erneuern. Das könnte der ganzen EU helfen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Der französische Präsident Emmanuel Macron wirbt intensiv für einen "Neustart" der EU und will dafür den deutsch-französischen Motor tunen. Seine Vorgänger, Nicolas Sarkozy und François Hollande, hatten im Gegensatz dazu aus ihren Präferenzen für eine Südachse der Union als Gegengewicht zum überstark erscheinenden Deutschland der Sparpolitik kein Hehl gemacht. Woher kommt diese Kehrtwende?
Zuerst ein Blick zurück: Der "Europatag" der EU wird jedes Jahr am 9. Mai begangen. Bezugspunkt ist der 9. Mai 1950 - jener Tag, an dem der französische Außenminister Robert Schuman in einer Pressekonferenz in Paris eine Erklärung abgab, die den Startschuss zur Gründung der Montanunion (Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl - EGKS) bilden sollte. Die Erklärung war im Vorfeld eng zwischen Charles de Gaulle und Konrad Adenauer sowie weiteren wichtigen Personen wie Jean Monnet abgesprochen worden. Im Kern betraf der Schuman-Plan Frankreich und Deutschland, war aber von vornherein offen für andere europäische Länder.
An jenem 9. Mai 1950 wurde also der Öffentlichkeit ein angenehm schnurrender deutsch-französischer Motor vorgestellt, der leistungsstark genug war, um innerhalb von knapp einem Jahr sechs Länder zum Vertragsschluss über die EGKS zu bringen (Frankreich, Deutschland, Italien, Benelux-Staaten). Die europäische Integration und damit letztlich die Europäische Union sind also Kinder dieser französisch-deutschen Initiative.
Wenn der französisch-deutsche Motor, aus dem später wegen der unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklung ein deutsch-französischer wurde, 1950 den Kernprozess der europäischen Integration starten konnte, so könnte es ja 2017 oder 2018 noch einmal funktionieren, nachdem die EU seit zehn Jahren in der Krise steckt. Macron inszeniert sich als ideengebender Europäer. So hat er am 26. September mit Bedacht eine - in der Tat sehr anregende - Europa-Rede in der altehrwürdigen Pariser Universität Sorbonne gehalten, in der er an den Gemeinschaftsgedanken, der der Institution Universität seit dem Mittelalter zugrunde lag, anknüpfte. Hinter diesem historischen Idealismus und der ohne jeden Zweifel willkommenen europäischen Initiativergreifung stecken auch handfeste französische Interessen, die zum Jahr 1950 zurückführen.
Unerlässliche Aussöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg
Dass die deutsch-französische Aussöhnung eine starke idealistische Komponente besaß, muss anerkannt werden, aber sie war auch politisch objektiv geboten und für den Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg unerlässlich. Nicht zuletzt Winston Churchill hat das in mehreren Reden ab 1945 immer wieder gesagt, gefordert und dazu ermutigt. Aus französischer Sicht galt es, Deutschland einzubinden - um Frankreich seine von Charles de Gaulle erkämpfte Führungsrolle im Westen des Kontinents zu erhalten.
Die französische Wirtschaft litt unter Strukturschwächen, das stärker zerstörte Deutschland erholte sich wirtschaftlich sichtbar schneller. Sich ökonomisch in den damaligen Schlüsselindustrien mit dem ehemaligen Erbfeind und in weitere Folge mit vier weiteren Staaten eng zu liieren, war aus französischer Sicht eine ebenso mutige wie kluge politische Weichenstellung, die nicht nur, aber eben auch weitgehend Frankreich genutzt hat.
Ein französisch-deutsches Déjà-vu-Erlebnis
Bleiben wir bei Frankreichs Wirtschaft, dann haben wir 2017 ein Déjà-vu-Erlebnis: Wieder ist es die französische Wirtschaft, die deutliche Strukturschwächen hat und sich schwertut, die Kombination aus hausgemachten Struktur- und Modernisierungsdefiziten und nachteiligen Auswirkungen der Finanz- und Schuldenkrise der westlichen Welt aufzulösen - im Gegensatz zu Deutschland, und zwar in jeder ökonomischen Beziehung. Macrons Plädoyer für einen Neustart der EU erinnert durchaus an die Motivationslage in der französischen Politik im Jahr 1950, soweit es wirtschaftliche Aspekte betrifft.
In anderer Hinsicht sind die Situationen 1950 und 2017 freilich nicht vergleichbar, und es muss gefragt werden, ob es das Tuning des deutsch-französischen Motors braucht beziehungsweise ob das nicht auch kontraproduktiv sein kann. Der EU-Gipfel im heurigen März in Rom anlässlich des 60. Jahrestages der Römischen Verträge (Gründung der EWG und von Euratom) hat sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, dass kein Land zu akzeptieren bereit ist, dass andere Mitglieder im Rahmen der vom EU-Vertrag ermöglichten sektoralen engeren Zusammenarbeit eine Pole-Position besetzen.
Eine engere deutsch-französische Zusammenarbeit im Dienste solcher Ziele, die alle EU-Mitglieder unterschreiben (können), könnte segensreich sein, würde aber den Protagonisten, allen voran Emmanuel Macron, vielleicht wie Fahren mit angezogener Handbremse vorkommen. Andererseits könnte eine intensivere Zusammenarbeit der beiden größten Volkswirtschaften der EU dazu führen, dass andere abgehängt würden, sodass Versuche von Gruppenbildungen innerhalb der EU - wie die Visegrád-Staaten oder die südlichen EU-Staaten mit ihrer Aversion gegen Sparhaushalte - mehr Erfolg als bisher hätten: Einen gemeinsamen "Gegner" ausmachen zu können, schweißt immer zusammen.
Unfreundliche Frontstellungen in der EU zu befürchten
Die Situation ist durchaus brenzlig, weil der Weltmarkt für eine bessere Integration der deutschen und der französischen Wirtschaft geradezu plädiert. In der EU könnte dies hingegen zu unfreundlichen Frontstellungen führen, wo die "Verteidiger des Abendlands" gegen die Prinzipienlosen, denen das Abendland wurscht ist (um die Botschaften eines Regierungschefs zu paraphrasieren), Zäune hochziehen.
Allerdings gibt es genug Felder, wo die engere deutsch-französische Zusammenarbeit positive Impulse für die gesamte EU geben kann. An erster Stelle steht der historische Prozess der Aussöhnung, der von Anfang an beide Gesellschaften und nicht nur die politischen Spitzen erfasst hatte. So historisch-beispiellos die "Erbfeindschaft" der beiden Länder war, so historisch-beispiellos im positiven Wortsinn war und ist die Aussöhnung, die zudem 1963 erstmalig im freien Europa mit einem Freundschaftsvertrag besiegelt wurde. Sie hat sich später auch positiv auf die deutsch-polnische Aussöhnung ausgewirkt, selbst wenn im letzteren Fall die Wirksamkeit der Aussöhnung sehr viel mehr von der jeweils in Polen regierenden Partei abhängt, als es in Frankreich und Deutschland der Fall ist.
Der Blick auf diese Erfolgsstory könnte sich im Zuge des Brexit als wichtig erweisen. Man wird es vielleicht noch brauchen, daran zu denken, dass über alle Gegensätze hinweg politisch-gesellschaftliche Länderfreundschaften allemal die weitsichtigere Haltung sind. Wenn Macron also vorschlägt, den Elysée-Vertrag von 1963 zwischen Frankreich und Deutschland zu erneuern, können dafür sachliche Gründe angeführt werden, aber auch symbolische. Nach 55 Jahren zu sagen: "Wir sind Freunde geworden, dabei ideell so frisch geblieben, dass wir den Vertrag mit neuen Impulsen fit für die nächsten 55 Jahre machen", würde die Linie einer - pathetisch ausgedrückt - historisch-einmaligen Glückserfahrung fortsetzen. Das würde endlich auch jene Emotionen in die EU bringen, die alle eigentlich vermissen.