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Markus Zehentner hat eine kostenlose Deutsch-App für Flüchtlinge entwickelt.
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Wien. Viele Flüchtlinge besitzen Smartphones. Ein Umstand, der besonders in sozialen Netzwerken unter "Asylkritikern" für Verärgerung gesorgt hat. Nicht so beim Unternehmen Link2Brain, das eine kostenlose Deutsch-App für Flüchtlinge entwickelt hat. Gründer Markus Zehentner erklärt im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" deren Entstehung, weitere Ideen und das spielerische Karteikartensystem, auf dem die App basiert.
Es begann vor mehreren Jahren, als der gelernte Jurist Zehentner über einen Freund ein ähnliches Produkt aus den USA kennenlernte. Nachdem aus kommerziellen Gründen eine Partnerschaft mit dem US-Pendant scheiterte, machte sich der gebürtige Saalbach-Hinterglemmer daran, mit einer kleinen Gruppe von Programmierern eine ähnliche Lehr-App zu entwickeln. Die "Link2Brain Refugee Version" ist auf drei Sprachen verfügbar (Arabisch, Persisch und Russisch) und funktioniert nach dem Karteikartensystem.
"Als Student habe ich selbst danach gelernt. Auf der Vorderseite steht die Frage und auf der Rückseite die Antwort. Man verifiziert dann selbst und ordnet die Karteikarte, wenn sie korrekt war, in ein Fach weiter hinten ein. Dann vom zweiten Fach ins dritte und so weiter. Dies hat den Vorteil, dass man Dinge, die man gut beherrscht, nicht so oft durchgehen muss und Bereiche, bei denen es noch mangelt, öfter wiederholt. Dieses ,Leitner Karteikartensystem‘ gibt es bereits seit den 70er Jahren und ist wissenschaftlich überprüft. Wir haben dieses System weiterentwickelt und elektronisch umgesetzt. Es geht darum, Lehrinhalte zu differenzieren. Ein Buch macht keinen Unterschied zwischen dem, was man gut kann, und dem, was einem noch schwerfällt", erklärt Zehentner die App-Funktion.
Öffnet man die App, erscheint am Bildschirm eine Frage, deren Antwort man sich selbst überlegen muss. Tippt man auf den Screen, so erscheint die Lösung und man weiß, wie man sich geschlagen hat. Der nächste Schritt beinhaltet die eigene Bewertung. Es gibt hierbei vier verschiedene Smiley-Stufen (von schlecht bis perfekt), um der Frage eine Gewichtung zu geben. Mit dieser Aktion wird dem System gezeigt, wie gut man geantwortet hat.
"Selbsteinschätzung und Ehrlichkeit zu sich selbst, sind hierbei wichtig. Es geht nicht darum, Wissen abzurufen, sondern es zu erlangen. Wenn ich Interesse habe zu lernen, dann werde ich auch ehrlich zu mir sein. Sobald ich eine Frage als perfekt einstufe, wiederholt sich genau jene Lernlektion später oder gar erst am Ende. So verschwende ich keine Zeit mit Dingen, die ich bereits kann", sagt Zehentner.
Programmierer sind Studenten
Der komplexe Algorithmus, der dahintersteckt, lässt sich in einfachen Worten mit der Erstellung von Regeln mittels Gewichtung beschreiben. "Da es nichts bringt, einen ganzen Fragedurchgang zu absolvieren, obwohl man zum Beispiel 80 Prozent des Inhaltes noch nicht beherrscht, kontrolliert das System den Lernfortschritt von zum Beispiel zehn Karten. Erst wenn ein bestimmter Durchschnittswert erreicht ist, kommt die elfte."
Die Deutsch-App für Flüchtlinge ist kostenlos. Zehentners Programmierer sind Studenten, die hauptsächlich im Sommer und an freien Tagen arbeiten. Aus dieser Zeitknappheit heraus hat sich bei den Entwicklern an einem bestimmten Punkt die Frage gestellt, ob man das Projekt nun möglichst bald kommerziell verwerten will oder es lieber zunächst einer speziellen Gruppe, die lernen möchte, zur Verfügung stellt. "Da macht es bei Flüchtlingen, die nach Österreich oder Deutschland kommen, viel Sinn, wertvolle Unterstützung zum Deutschkurs zu nutzen, Phrasen zu lernen und Sätze, die man relativ bald braucht, beigebracht zu bekommen. Dies ist besonders bei Flüchtlingen, die zum Beispiel in Traiskirchen sitzen und denen die Decke auf den Kopf fällt, oder bei Fliehenden, die nach Deutschland in ungewisse Zeiten weiterziehen, hilfreich", sagt der der 39-jährige Hobbymusiker.
Deshalb sind die einzelnen Lern-Kategorien in der App nicht willkürlich, sondern mit Bedacht ausgesucht worden. "Es ging uns um Essenzielles. Konversationen führen, sich bei Formularen zurechtfinden. Man lernt, wie man behördlich nach diversen Dingen fragt, die im herkömmlichen Sprachgebrauch nicht so oft vorkommen."
In diesem Zusammenhang erinnert sich der Jurist an die mühsamen Anfänge von Link2Brain und der "Refugee-App": "Die ersten Versuche waren allesamt enttäuschend. Unsere Idee war, dass es solche Deutsch-Lektionen, wie wir sie nun anbieten, ja bereits geben muss. Auf unsere Anfragen an diverse Institutionen kamen aber Ablehnungen oder es wurde erst gar nicht reagiert." Erst eine Freundin, die mehrere Tage im Lager Traiskirchen mitgeholfen hat, ebnete den Weg zur App. "Sie hat erzählt, dass dort bereits ein Skriptum mit Übersetzungen im Umlauf ist. Ich habe dann mit den zuständigen Vertretern der ÖH der Pädagogischen Hochschule Oberösterreich Kontakt aufgenommen, um dieses tolle Skriptum in der App zu verwerten. Mithilfe von freiwilligen "Native Speakern" sind wir dann viele Stunden zusammengesessen und habe das vorliegende Material einer Qualitätsprüfung unterzogen und es elektronisch umgesetzt. Uns wurde dadurch auch die Entscheidung abgenommen, welche Sprachen wir nehmen sollten. Arabisch, Persisch und Russisch gab es ja bereits."
Deutschkurs wird nicht ersetzt
Zehentners Unternehmen Link2Brain bietet neben der Deutsch-App auch diverse andere Lerninhalte an. Alle haben eines gemeinsam: Inhalte sollen spielerisch und nicht trocken vermittelt werden. "Es soll Spaß machen, jüngere Leute und Kinder können ja bereits ein Smartphone bedienen. Aber es soll nicht den Deutschkurs, ein Buch oder die direkte Kommunikation ersetzen, sondern unterstützen. In der auditiven Interaktion mit anderen lernt man ja am meisten. Deshalb planen wir auch eine Audioversion der App, bei der man die Frage und Antworten auch hört. Für Menschen, die mit dem lateinischen Alphabet nicht vertraut sind, ist es oft schwer genug", weiß Zehentner.
Bisher wurde die App über den Google Playstore 1000 Mal heruntergeladen, ist aber auch auf IOS und Windows verfügbar. Auch wenn Link2Brain grundsätzlich, so der Jurist, kommerziell ausgelegt ist, wird die Deutsch-App selbst auch in Zukunft kostenlos bleiben. "Wir überlegen natürlich schon, uns für unsere Arbeit, die nebenberuflich geschieht, Unterstützung zu holen. Ein "Product Placement" oder eine Form von "powered by" wäre bei den geplanten Erweiterungsideen wünschenswert".
Zehentner hat weitere Visionen für seine Firma: Schüler und Studenten sollen die Möglichkeit bekommen, selbst Karteikarten elektronisch zu erstellen. "Den benutzerfreundlichen Editor dafür gibt es bereits. So kann man dann eigene und persönliche Inhalte übertragen und am Handy lernen. Die Idee ist, dass zum Beispiel, wenn jemand 100 Karten gestaltet, er dies kostenfrei tun kann. Wenn jemand 1000 Stück erstellt, soll es maximal ein paar Euro kosten. So hat man dann die Möglichkeit, statt am Papier den Prüfungsstoff schnell im Zug, Bus oder auch am Strand per Handy und ohne Internetzugang zu lernen." Diese Idee soll bereits in diesem Frühjahr umgesetzt werden. Weiters sind ein Karteikarten-Set zur Geschichte der Fußball-Europameisterschaft sowie eine Bier-App (Produktion, Historie, Besonderheiten) geplant.
Doch hier endet die Zehentners Vision nicht: "Zusätzlich schwirrt in meinem Kopf die Idee herum, das Lernen als Wettbewerb -à la Wissensduell - zu gestalten."
Warum der Jurist, der im Bankenwesen arbeitet, unzählige Stunden für dieses Projekt opfert? "Früher war ich in einer Rock-Metal-Band, mit kleineren Auftritten", erklärt Zehentner. "Dieses kreative Werken geht mir etwas ab. Mit Link2brain wollte ich ein Produkt schaffen, von dem ich sagen kann, es ist von mir und andere Menschen haben etwas davon. Es kann nie ein Fehler sein, Leute zum Lernen zu bringen."