Hoch bei Erwerbstätigen und Tief bei Arbeitslosen wird durch Millionen atypisch Beschäftigter getrübt.
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Nürnberg/Wien. "2016 war schon ein gutes Jahr." Frank-Jürgen Weise, scheidender Chef der deutschen Bundesagentur für Arbeit (BA), zog am Dienstag in Nürnberg zufrieden Bilanz: Die Zahl der in Deutschland Erwerbstätigen stieg im vergangenen Jahr im Durchschnitt auf 43,49 Millionen. Das ist der höchste Stand seit der Wiedervereinigung. Bei der Zahl der Arbeitslosen freut sich Weise über den niedrigsten Wert seit 1991. Im Jahresdurchschnitt waren 2,691 Millionen Personen 2016 ohne Beschäftigung; im Dezember lag die Arbeitslosenquote bei 5,8 Prozent.
Das sind famose Werte gemessen an der Zeit vor der Implementierung der umstrittenen Hartz-Reformen unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD). Im letzten Jahr von Rot-Grün, 2005, gab es im Jahresschnitt nur 39,2 Millionen Erwerbstätige. 4,86 Millionen Bürger waren ohne Job. Binnen elf Jahren sank die Zahl der Arbeitslosen um also knapp 2,2 Millionen, die der Erwerbstätigen stieg um mehr als 4 Millionen Personen. Innerhalb der Eurozone konnten nur noch die Slowakei und Malta ihre Arbeitslosenzahlen nach Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise senken. In Spanien und Italien stieg laut einer Studie des Beratungsunternehmens EY die Arbeitslosenzahl seit 2008 um 1,8 Millionen beziehungsweise 1,5 Millionen.
Die enorme Entwicklung am deutschen Arbeitsmarkt hat jedoch ihren Preis. Denn unter Erwerbstätige fallen Selbständige und Vollzeitbeschäftigte, aber auch Personen, die mindestens eine Stunde pro Woche entgeltlich einem Beruf nachgehen. Sogar Angehörige, die im Betrieb eines Familienmitgliedes mitarbeiten, ohne dafür Lohn oder Gehalt zu beziehen, gelten laut Definition der Internationalen Arbeitsorganisationen (ILO) als Erwerbstätige. Eine enorm wichtige Kennzahl am Arbeitsmarkt ist daher jene der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten - diese sind es, die mit ihren Beiträgen den Sozialstaat erhalten. Von den 43,49 Millionen Erwerbstätigen waren im Juni 2016 lediglich 31,37 Millionen sozialversicherungspflichtig beschäftigt, also kranken-, pensions- und pflegeversicherungspflichtig. 1991, dem Jahr, das BA-Chef Weise gerne für Rekordvergleiche herzieht, gab es verhältnismäßig mehr sozialversicherungspflichtig Beschäftige: 29,4 Millionen von ihnen waren es von insgesamt 38,9 Millionen Erwerbstätigen.
Die große Differenz heutzutage zwischen Erwerbstätigen und sozialversicherungspflichtig Beschäftigten besteht aus sogenannten Midijobs mit einem Entgelt zwischen 450 und 850 Euro und geringfügig Beschäftigungen, bei denen Arbeitnehmer nicht mehr als 450 Euro monatlich verdienen oder nur weniger als 50 Arbeitstage tätig sind. 7,4 Millionen groß war das Heer der geringfügig Beschäftigten im Oktober 2016, überwiegend von Frauen gestellt.
Darin liegt ein wesentlicher Grund, dass trotz Prosperität die Zahl der der Geringfügigen nicht spürbar sinkt. Denn Frauen können oftmals nur zeitlich begrenzt arbeiten oder sind in Branchen wie dem Einzelhandel tätig, in denen sie keine Perspektive auf den Aufstieg zur sozialversicherungspflichtig Beschäftigten haben. Umgekehrt ist die Rollenverteilung bei den sogenannten Normalarbeitsverhältnissen. Das sind Personen, die unbefristet und voll sozialversicherungspflichtig für mindestens 20 Stunden pro Woche angestellt sind, und zwar direkt bei dem Arbeitgeber und nicht über eine Leihfirma. Von den 24,8 Millionen Normalarbeitsverhältnissen im Jahr 2015 wurden jedoch nur 10,4 Millionen von Frauen besetzt.
380.000 arbeitslose Flüchtlinge
Für 2017 erwarten Experten, dass die Gesamtzahl der Erwerbstätigen leicht steigt. Unter den Flüchtlingen rechnet der designierte BA-Chef Detlef Scheele mit 380.000 Arbeitslosen. 2016 hätten 30.000 von ihnen Arbeit gefunden, in erster Linie bei Hilfstätigkeiten, vor allem in der Zeitarbeit, dem Reinigungsgewerbe, im Bereich Lager und Logistik sowie im Hotel- und Gaststättenwesen.
Für die Zukunft sieht sich die BA gut gerüstet, verfügt sie doch mittlerweile über 11,4 Milliarden Euro an Rücklagen. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) lehnt aber eine Beitragssenkung der Arbeitslosenversicherung ab.