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Erst Deal mit Janukowitsch ausgehandelt, dann Putins Reaktion unterschätzt.
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Berlin/Moskau. "Deutschland ist kein Kleinstaat in einer europäischen Randlage", skizzierte Außenminister Frank-Walter Steinmeier Ende Jänner das Selbstverständnis der großen Koalition in Berlin. Wie zur Bestätigung der neuen, aktiven Außenpolitik handelte der SPD-Politiker gemeinsam mit seinen Amtskollegen aus Polen und Frankreich gegenüber Wiktor Janukowitsch die Bildung eines Übergangskabinetts und vorgezogene Präsidentschaftswahlen aus. Keine 24 Stunden hielt das Abkommen, ehe Janukowitsch die Flucht ergriff. Zurück blieben nicht nur Geheim-Dokumente in dessen Luxus-Datscha. Auch Deutschlands Diplomatie wurde auf dem falschen Fuß erwischt.
Als selbsternannte Mittlerin zwischen Ost und West muss sich die Regierung fragen, wieso sie die darauf folgende Reaktion Russlands dermaßen unterschätzte. Oder, um beim Auslöser der Krise zu beginnen, warum bei niemandem in Berlin oder Brüssel die Alarmglocken schrillten, was das ursprünglich geplante Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine insbesondere symbolisch für Russland bedeutet. "Wir werden darüber reden müssen, ob der Umgang der EU mit Osteuropa der richtige ist", gibt sich der Russland-Koordinator der deutschen Regierung, Gernot Erler, nun zerknirscht. Die Zeit zum Nachdenken drängt, denn bereits im Sommer plant die Union, Assoziierungsabkommen mit Georgien und Moldawien zu unterzeichnen - zwei weitere ehemalige Staaten der UdSSR, die Russland als "nahes Ausland" tituliert.
Kooperation oder Kalter Krieg, das sind die Optionen, die Deutschland nun bei der Krim-Krise Wladimir Putin in Aussicht stellt. Das verbale Säbelrasseln überlässt man den USA, Großbritannien und Kanada - wofür Berlin prompt Kritik einstecken muss: eine schwere Enttäuschung und zu passiv sei Deutschland, sagt der frühere republikanische Präsidentschaftskandidat John McCain, der Putin bereits seit vielen Jahren attackiert. Die Deutschen versuchen mit neuen diplomatischen Initiativen zu retten, was zu retten ist. So stammt die Idee der internationalen Kontaktgruppe aus der Feder Berlins. "Wir sind noch nicht da, aber ich glaube, dass es sich lohnt, die Gespräche weiterzuführen", sagte Steinmeier am Dienstag.
Neben dem Außenminister ist auch Angela Merkel in der jetzigen Krise hochaktiv. Sie telefonierte mehrmals mit Putin, balancierte zwischen Kritik an der "völkerrechtswidrigen Besetzung" der Krim und dem Bemühen, Gespräche zwischen Russland und der Ukraine zu ermöglichen.
Auf den Freund folgtedie Transatlantikerin
Die Gesprächsbasis zwischen Merkel und Putin ist professionell-kühl - ganz im Gegensatz zur Männerfreundschaft, die Russlands Präsident mit Merkels Amtsvorgänger Gerhard Schröder pflegte. Die frühere DDR-Bürgerin, die mit dem Sowjetsystem direkt konfrontiert war, hat hingegen ihre Verbundenheit mit den USA mehrfach betont. Merkel will die Beziehungen zu Russland nicht auf Äußerste strapazieren, da daran 300.000 Arbeitsplätze in Deutschland hängen. Und Schröder will sich nun nicht zu Putin äußern: "Bringen Sie mich nicht in eine Lage, in der sich etwas sage, was ich nicht sagen will."