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Deutsche Doppelrolle - Zahlmeister und Profiteur

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv
Griechen-Schummelei verstimmte Merkel. Foto: reu

Merkel unter Druck von "Bild" und Verfassungsrichtern. | Experte: Euro bringt Vorteil im Wettbewerb. | Brüssel. Als die Wirtschaftskrise begann auszuklingen, schien sich die deutsche Rolle als Integrationsmotor der EU zumindest in der Öffentlichkeit zu verändern. Denn schon im Februar 2010 war klar, dass Griechenland den Schritt in den finanziellen Abgrund schon beinahe getan hatte.


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Die neu gewählte Regierung hatte kurz davor zugegeben, dass das Land seine Bilanzen seit mehr als einem Jahrzehnt gefälscht und sich auch den Beitritt zum Euro erschummelt hatte. Die Zuwendungen der EU hatten die Griechen in den Konsum gesteckt, anstatt eine lebensfähige Wirtschaft aufzubauen.

Diesem Land jetzt mit mehr als 100 Milliarden Euro unter die Arme zu greifen, schien oberflächlich betrachtet nicht sehr attraktiv. Zumal Deutschland entsprechend seiner Wirtschaftsmacht mit rund 20 Prozent stets der Hauptzahlmeister an allen EU-Projekten ist. Dass es sich im Fall Griechenlands um zwischenstaatliche Kredite handelt, ändert daran nichts.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte nicht nur einen Großteil der öffentlichen Meinung gegen sich - die "Bild"-Zeitung lief in ihrer Kampagne gegen die Griechen-Hilfe zu Höchstform auf. Noch heute wettert sie gegen deutsches Geld für die ärmeren EU-Länder im Süden. Auch der Bundesverfassungsgerichtshof (BVG) in Karlsruhe hat wenig Freude mit der Errichtung einer Transferunion. Unumstößliches Prinzip der Gemeinschaftswährung war bis zum Vorjahr die sogenannte "No-Bailout"-Klausel, laut der kein Euroland für die Schulden eines anderen eintreten darf.

Sie war Grundvoraussetzung dafür, dass Deutschland seine stabile Mark überhaupt aufgeben durfte. Weil es formell um die Eurostabilisierung und einen Notfall und nicht die Griechenlandhilfe ging, ließ der BVG schließlich gewähren.

Wettbewerbsvorteil

Dass Deutschland die Hauptlast der Haftungen trägt, treibt liberale Politiker und Ökonomen sowie die "Bild"-Zeitung auf die Palme. Wenig Verständnis dafür hat Wifo-Experte Stephan Schulmeister: "Deutschland hat selbstverständlich vom Euro profitiert", erklärt er der "Wiener Zeitung". Denn früher seien bei sinkenden Lohnstückkosten in Deutschland die Wechselkurse sofort in die Höhe geschossen. Italien und Griechenland hätte Lira und Drachme schlicht abgewertet. In Zeiten der gemeinsamen Währung könne Lohnzurückhaltung dagegen direkt in einen Wettbewerbsvorteil umgewandelt werden. Die Folge sei, dass Deutschland nach der Euroeinführung so große Leistungsbilanzüberschüsse wie nie zuvor habe erzielen können.

Auch die Rettungspakete kämen Deutschland selbst zu Gute, so Schulmeister. Dass die Deutschen damit ihre eigenen Banken retten und nicht einfach ihre Mittel für die Griechenland-Rettung ausgeben, werde in der Öffentlichkeit kaum kommuniziert. Weil das Thema innenpolitisch schwierig für Merkel sei, spiele sie eine Doppelrolle: Je mehr Medien anwesend seien, desto eher sei sie die strenge, zurückhaltende Chefin. Sehr wohl trete sie andererseits gegen eine griechische Pleite oder Umschuldung auf.

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