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Der Osten braucht mehr "Mia san mia". | DDR-Fans werden immer weniger. | Berlin. Jochen Wolff würde aus den Ostdeutschen gern Bayern machen, das sagt der Chefredakteur der "Super-Illu" jedenfalls. Die Monatszeitschrift gibt es seit zwanzig Jahren, am 23. August 1990 erschien die erste Ausgabe, und Wolff - selbst Bayer - ist fast von Anfang an dabei. | Von blühenden Landschaften noch immer weit entfernt
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"Der Ostdeutsche fühlt sich schon ein bisschen minderwertig", sagt er. "Die Bayern mit ihrer Mia-san-mia-Mentalität tragen ihre Lederhosen und gehen so durch Deutschland. Der Ostdeutsche braucht etwas von diesem Selbstbewusstsein." Von seinen heute 3,7 Millionen Lesern leben 3,1 Millionen in Ostdeutschland.
Zwanzig Jahre sind vergangen, seit Ost- und Westdeutschland ein Land sind: Am 23. August 1990 hatte die erste frei gewählte Volkskammer dafür gestimmt, mit 3. Oktober der Bundesrepublik beizutreten. Seither bescheinigen Umfragen immer wieder, dass Ost und West noch nicht zusammengewachsen sind, dass der Osten immer noch hinterher hinkt.
Besonders skeptisch der Einheit gegenüber sind in den Umfragen jene, die die DDR lange Zeit erlebt haben. Auf die Generation über 75 Jahren trifft das vor allem zu. Besonders positiv gestimmt sind laut einer Studie der Uni Leipzig dagegen die 14- bis 24-Jährigen. Der DDR trauern einer anderen Umfrage zufolge insgesamt 13 Prozent nach - ein Wert, der stetig kleiner wird. Für zwei Drittel ist der "Aufbau Ost" erfolgreich gewesen und man ist froh darüber, im geeinten Deutschland zu leben.
"Symbol hätte gereicht"
Matthias Platzeck sieht das ähnlich. "Ja, natürlich war die Wiedervereinigung eine Erfolgsgeschichte. Alles andere wäre doch verrückt", sagt der heutige Ministerpräsident Brandenburgs (SPD). 1990 hat er allerdings, damals als Parteiloser auf der Liste der DDR-Grünen, dem Einheitsvertrag nicht zugestimmt - nicht aber, weil er gegen die Einheit war, sondern weil er das Gefühl hatte, dass die Ostdeutschen nicht genügend wahrgenommen würden. "Mir hätte ein Symbol gereicht", sagt er. "Aber es wurde nichts übernommen." Heute dagegen mache man vieles, was in der DDR üblich gewesen sei: Kinderkrippen, Ganztagsschulen, Polykliniken. Doch damals wäre klar gewesen: Was gut sei, komme aus dem Westen. Das vereinte Deutschland hätte von der DDR "ruhig ein bisschen mehr übernehmen können als das Ampelmännchen oder den grünen Pfeil", erklärte auch Deutschlands Innenminister Thomas de Maizière (CDU) dieser Tage.
Der "Super-Illu" kommt das durchaus zugute. Chefredakteur Wolff sagt freilich, man wolle Ost und West zusammenführen. Tatsächlich speist sich der Erfolg des bunten Blattes daraus, dass die Leser eben aus zwei Welten kommen und manche von ihnen zuweilen immer noch zwei Welten sehen: eine ost- und eine westdeutsche.
Das Stasi-Klischee
Als die Mauer gefallen war und sich ein neuer Markt auftat, ergriff der Burda-Verlag die Chance. Eine Zeitschrift für Ostdeutsche, das war der Plan. Dort, wo nichts mehr schick und rentabel genug war, wo man sich als Deutscher zweiter Klasse fühlte, sollte die "Super-Illu" ansetzen und auch über die ostdeutschen Stars schreiben oder die Schönheit Dresdens. "Die Westdeutschen suhlen sich in Alltagserinnerungen an den Adria-Urlaub und den ersten VW-Käfer. Wenn das Ostdeutsche mit Ostsee und Trabi machen, heißt es sofort: Ostalgie und Stasi", sagt Wolff und bringt deshalb in seinem Blatt eben nicht nur Texte über Schauspieler wie Hugh Grant, über Anschläge in Afghanistan, über Rentenfonds und Kochrezepte.
Die Auseinandersetzung mit der DDR geht also zwanzig Jahre nach der Einheit weiter. Und während die "Super-Illu" laut Chefredakteur Wolff in jedem zweiten ostdeutschen Wohnzimmer liegt, geht es Historiker Martin Sabrow wissenschaftlich an und sucht "Erinnerungsorte" in seinem gleichnamigen Buch auf: Er will den Alltag in der Diktatur und die Diktatur im Alltag miteinander verschränkt zeigen.
Unaufgeregt thematisiert wird beispielsweise das Schlagwort "Kinderkrippe": Was steckt dahinter, was schwingt hier alles mit? An "kollektives Töpfchengehen" und "emotionale Verwahrlosung" lässt die DDR-Krippe die einen denken. Bei den anderen ruft sie den Reflex hervor, diese unbedingt zu verteidigen: Denn hier geht um die eigene Kindheit, das eigene Erinnern - und das soll nicht vom "Wessi" schlechtgeredet werden. Alltagsgeschichte ist für Sabrow keine Verharmlosung der politischen Realitäten in einer unfreien Gesellschaft. Kinderkrippe, Sandmännchen, Ostsee, Plattenbau, Stasi und Montagsdemonstrationen - nur wer differenziert über solche Schlagworte sprechen kann, kann selbstbewusst auch mit den negativen Seiten der Vergangenheit umgehen.
Feiern
Der Tag der Deutschen Einheit, der alljährlich am 3. Oktober begangen wird, wird heuer in Bremen gefeiert, weil dieses kleine Bundesland derzeit den Vorsitz in der Länderkammer hat. Aber auch am Reichstag und am Brandenburger Tor in Berlin wird aber an die Wiedervereinigung vor 20 Jahren erinnert.