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Super-Wahljahr schwächte Regierung.|Opposition sieht Zeit für Neuwahlen in Deutschland gekommen, Regierung will weitermachen. |FDP will sich stärker profilieren.
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Berlin. Das deutsche Super-Wahljahr ist für die schwarz-gelbe Bundesregierung alles andere als super gelaufen. Zwar erlitt auch die CDU bei den sieben Wahlgängen zu Landesvertretungen zum Teil empfindliche Niederlagen, Sorgen macht aber vor allem der gelbe Koalitionspartner, die FDP: Sie flog aus fünf Landesparlamenten, nur in Hamburg konnte sie zulegen. Am Sonntag reichten ihre 1,8 Prozent in Berlin gerade noch zu einer Platzierung zwischen der rechtsextremen NPD (2,1 Prozent) und der Tierschutzpartei (1,5 Prozent).
Das schwache Abschneiden des Koalitionspartners ist der CDU gar nicht so unrecht. Dass die kritischen Äußerungen der FDP über die Griechenland-Hilfe in der Woche vor der Berlin-Wahl keinen Stimmungsumschwung gebracht haben, sorgt für Erleichterung. Nicht nur Oppositionschef Sigmar Gabriel (SPD) sieht das schwache FDP-Ergebnis als Beweis, dass die Wähler "solche euro-populistischen Wendemanöver" nicht mitmachen, auch Sachsens CDU-Ministerpräsident Stanislaw Tillich ortet darin "mit Sicherheit" einen Denkzettel für die euroskeptischen Töne - eine Meinung, der sich übrigens auch die griechische Presse in ihrer Berichterstattung zur Berlin-Wahl erfreut anschließt. Und der relativ erfolgreiche CDU-Spitzenkandidat in Berlin, Frank Henkel meint: "Das, was die Berliner FDP hier in den letzten Tagen gemacht hat, ein populistischer Wahlkampf zulasten Deutschlands und Europas, das gehört sich nicht."
Die Mahnungen der CDU, jetzt zu sachlicher Arbeit zurückzukehren, fruchten allerdings wenig. Die Äußerungen von FDP-Chef und Wirtschaftsminister Philipp Rösler, der vergangene Woche eine geordnete Insolvenz Griechenlands in die Debatte geworfen hat, werden von den meisten Parteigranden verteidigt. Außen-Staatsministerin Cornelia Pieper bleibt in der Minderheit, wenn sie sagt: "Ich glaube, dass es ein Fehler war, die Europapartei FDP in Richtung Euro-Skeptiker zu profilieren." Generalsekretär Christian Lindner meint dagegen, das Wahldebakel in Berlin sei kein Grund, vom Kurs seiner Partei in der Euro-Debatte abzuweichen, und sieht sich von Wirtschaftsexperten darin bestätigt.
Das Ziel ist offenbar deutlichere Profilierung, wie Äußerungen von FDP-Vize Holger Zastrow vermuten lassen: Man müsse "wieder mal Kante zeigen", meint er, der erst zwei Wochen zuvor auf Steuersenkungen beharrt hat. Und Florian Rentsch, Fraktionschef im Hessener Landtag, sagt: "Bei der FDP ist klar, wo sie steht, aber genau das ist immer wieder das Problem bei der Kanzlerin."
Auch CSU kritisch gegenüber Griechen
Auch Andreas Rülke, Rentschs Kollege in Baden-Württemberg, wo die FDP heuer mit Ach und Krach wieder in den Landtag kam, rät dazu, "sich gegen die Kanzlerin durchzusetzen". Und er fügt hinzu: "Die Kanzlerin will der FDP den Mund verbieten, aber die CSU lässt sie gewähren." Tatsächlich hat der Chef des Bayern-Zweiges der Union, Horst Seehofer, zuletzt sogar einen Ausschluss der Griechen aus der Eurozone nicht mehr ausgeschlossen. Der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Stefan Müller, verteidigt denn auch Rösler gegen die Attacken der CDU. "Fest steht jedenfalls, dass ein Insolvenzverfahren für notleidende Staaten kommen muss, wenn die Hilfe anderer Länder auch nicht mehr hilft. Das ist auch die Position der CSU", so Müller.
Neuwahl-Vorschlag nur eine "Kasperei"
Angela Merkel selbst hingegen gibt sich unberührt von der koalitionsinternen Kritik an ihrer Führungsschwäche: "Ich glaube, dass wir unsere Regierungsarbeit fortsetzen werden, und ich glaube nicht, dass etwas schwieriger wird", erklärte sie am Montag lapidar. Zuvor hatte Unionsfraktionschef Volker Kauder Spekulationen um Neuwahlen als "Kaspereien" abgetan. Grund für diese Reaktion war der Vorschlag der SPD und der Grünen, eine CDU-Minderheitsregierung in der Euro-Frage zu unterstützen, danach müsse es aber Neuwahlen geben.
Angesichts dessen betonten auch die FDP-Spitzen am Montag, die Koalition fortführen zu wollen. Die Liberalen würden die Regierungsverantwortung für die volle Legislaturperiode wahrnehmen, stellte Rösler klar. Zugleich bekräftigte er neuerlich seine Position in der Euro-Krise. Es gehe grundsätzlich darum, den Euro stabil zu halten. Seine Haltung in der Frage sei "proeuropäisch mit der notwendigen wirtschaftspolitischen Vernunft", wie es Rösler formulierte.
Offen bleibt deshalb, ob die Koalition bei der Abstimmung im Bundestag über den erweiterten Rettungsschirm Ende September eine eigene Mehrheit zustande bringt. Auch in der CDU haben Abgeordnete ihre Absicht angekündigt, gegen die Erweiterung zu stimmen. Käme die sogenannte Kanzlermehrheit, also die Mehrheit unter den Abgeordneten, nicht zustande, gösse dies neues Wasser auf die Mühlen der Oppositionsparteien, die die schwarz-gelbe Bundesregierung schon jetzt als gescheitert ansehen.
Weitere Konflikte stehen an
Bei der Aufstockung des Euro-Rettungsfonds auf 780 Milliarden Euro würde der Anteil Deutschlands an diesen Bürgschaften von 123 auf 211 Milliarden Euro steigen. Es drohen allerdings weitere Konflikte innerhalb der Regierungskoalition. So steht im Herbst die Entscheidung über das Ausmaß der geplanten Steuererleichterungen an. Bei der Pflege wird eine Kontroverse über die Gegenfinanzierung der erweiterten Leistungen für Demenzkranke erwartet. Bei der inneren Sicherheit wehrt sich die FDP nach wie vor gegen die Vorratsdatenspeicherung und die Verlängerung der Anti-Terror-Gesetze.
Beobachter glauben allerdings, dass die Furcht vor Neuwahlen für die Koalitionsparteien schwerer wiegt als die Konfliktfelder. Nach dem 6. Mai 2012 könnten sich die Debatten noch einmal hochschaukeln. Dann ist die Landtagswahl in Schleswig-Holstein, die einzige im kommenden Jahr, geschlagen. Sollte die FDP neuerlich an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, würde die Diskussion um die junge, dann ein Jahr im Amt befindliche FDP-Führungsriege um Rösler neu losbrechen.
Bis dahin wird aber die Debatte um die Griechenland-Hilfen nicht ruhen. Und diese Diskussion wird auch weiter Unruhe in die europäischen Finanzmärkte und in die mit den Krisenfolgen beschäftigten EU-Gremien hineintragen.