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Deutsche lassen Embryo-Gentest zu

Von Alexander Dworzak

Politik

Experte Körtner: Entscheidung hat keine Signalwirkung auf Österreich.


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Berlin/Wien. Eineinhalb Jahre des politischen Tauziehens sind zu Ende: Am Freitag stimmte die deutsche Länderkammer, der Bundesrat, mit Einschränkungen dem bereits im Sommer 2011 vom Bundestag beschlossenen Gesetz zur Präimplantationsdiagnostik (PID) zu. Damit können im Reagenzglas erzeugte Embryonen schon vor dem Einpflanzen in den Mutterleib auf mögliche schwere Erbkrankheiten untersucht werden (siehe Wissen).

Groß ist die Angst vor einem moralischen Dammbruch, Kritiker fürchten die Züchtung von Designerbabys. Tatsächlich sind die rechtlichen Regelungen dieser Gewissensfrage - bei der Abstimmung im Bundestag wurde eigens der Fraktionszwang aufgehoben - äußerst strikt: Lediglich Paare, deren Partner die Veranlagung zu einer schweren Erbkrankheiten haben, dürfen die Gentests in Anspruch nehmen, oder falls eine Tot- oder Fehlgeburt des Kindes wahrscheinlich ist. Schätzungen zufolge könnten 250 bis 400 Paare pro Jahr in Deutschland die PID in Anspruch nehmen.

"Bei der Regelung handelt es sich um den kleinsten gemeinsamen Nenner", sagt Ulrich Körtner, Vorstand des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin an der Universität Wien. Grundsätzlich haben die Liberalen einen Punktsieg gegen die konservative Union von Kanzlerin Angela Merkel errungen, die in der Frage tief gespalten war. Merkel selbst gilt als Gegnerin der PID. Doch FDP-Gesundheitsminister Daniel Bahr setzte sich schlussendlich auch mit seiner Forderung durch, die Ethikkommissionen der Länder, welche jede PID vorab entscheiden müssen, bundesweit einheitlich zu besetzen. Somit können Bundesländer nicht über den Umweg eines von PID-Gegnern besetzten Gremiums Behandlungen verhindern. Erreicht haben die Länder hingegen, dass die Zahl der Zentren, die PID ermöglichen, begrenzt wird.

Neue Familiendebatte naht

Nicht erstaunt zeigte sich Körtner im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" über die nunmehrige Einigung - im Gegensatz zum Wiener Reproduktionsmediziner und Pionier der künstlichen Befruchtung, Wilfried Feichtinger: "Dass ausgerechnet Deutschland, das in einigen Bereichen noch restriktiver ist als Österreich, nun eine Vorreiterrolle übernimmt, ist bespielgebend." Auf die deutsche Bundestagswahl im September habe die Entscheidung keinen Einfluss, meint Körtner. Jedoch stünden weitere biopolitische Kontroversen zur PID bevor: von der Eizellenspende bis zur In-Vitro-Fertilisation für homosexuelle Paare. "Bedeutende gesellschaftspolitische Fragen über Familie und Ehe kündigen sich an."

Stillstand herrscht hingegen in der österreichischen Debatte um die PID. Im September 2012 sprach sich die Bioethikkommission im Bundeskanzleramt mehrheitlich dafür aus, die PID unter strengen Voraussetzungen freizugeben; die Politik ignorierte die Empfehlungen. Von der deutschen Entscheidung erwartet Ulrich Körtner keine Impulse für ein heimisches PID-Gesetz: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich SPÖ und ÖVP im heurigen Wahljahr einigen", lautet seine Prognose.