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Sarrazin polemisiert über "Humankapital". | Das SPD-Mitglied führt Probleme auf genetische Bedingungen zurück. | Wien. Als der Wirbel um Thilo Sarrazin, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank und ehemaliger Finanzsenators im Berliner Senat, vor einem Jahr losbrach, forderte Sarrazin, man möge doch seine Äußerungen im Gesamtzusammenhang sehen. Damals erklärte er in einem Interview: "Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert. Das gilt für 70 Prozent der türkischen und 90 Prozent der arabischen Bevölkerung in Berlin." Und: "Eine große Zahl an Arabern und Türken in dieser Stadt hat keine produktive Funktion, außer für den Obst- und Gemüsehandel."
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In seinem neuen Buch "Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen", das am Montag im DVA-Verlag erscheint, stellt Sarrazin seine Erörterungen in einen größeren Zusammenhang. Zu einer Beruhigung konnte er damit nicht beitragen. Im Gegenteil: Nachdem Auszüge bekannt wurden, reißen Forderungen nach rascher Abberufung von der Bundesbank sowie nach seinem SPD-Ausschluss nicht ab. Was steht wirklich drin?
Sarrazin sieht vor allem "Zeichen des Verfalls"
Im Ganzen wirkt Sarrazin wie ein frustrierter, um Deutschland besorgter Sozialdemokrat, der über Unzulänglichkeiten der Politik, des Sozialstaats, der ärmeren Bevölkerungsschichten sowie der fehlenden Bereitschaft, den Ist-Zustand zu analysieren, jammert. Bei ihm dreht sich alles um die "Zukunftsfähigkeit Deutschlands", die "Verdünnung der einheimischen Bevölkerung" und deutsches "Humankapital" - ein abstoßender Begriff, der sich aber schon vor Jahren etabliert hat.
In vielem sieht Sarrazin ein "Zeichen des Verfalls"; dazu gehören etwa das schlechte Abschneiden deutscher Schüler bei der Pisa-Studie, das niedrige demographische Wachstum, die damit einhergehende Gefährung des Sozialstaats, die geringere Geburtenrate bei Hochqualifizierten und die dafür hohe Kinderzahl bei "bildungsfernen Migranten".
Sarrazin scheint all diesen Fakten den gleichen Stellenwert einzuräumen. Die Zahlen, mit denen er alles untermauert, sind keineswegs neu, ermüdend wirkt, dass er die immergleichen Fakten und Positionen wiederholt. Vor allem geht es ihm darum mit der Tendenz aufzuräumen, "alles auf die gesellschaftlichen Verhältnisse zu schieben und so den Einzelnen moralisch von der Verantwortung für sich und sein Leben zu entlasten." Doch was ist denn nun entscheidend, wenn nicht die gesellschaftlichen Verhältnisse?
Hier zeigt Sarrazins Werk biologistischen Einschlag: Er führt alles einseitig auf die Gene zurück. "Intelligenz ist zu 50 bis 80 Prozent erblich", erklärt er und folgert: "Bei höherer relativer Fruchtbarkeit der weniger Intelligenten sinkt die durchschnittliche Intelligenz der Grundgesamtheit." Und genau das sei in Deutschland heute der Fall und somit Feuer am Dach.
Zum Beweis stellt er einen weiteren Zusammenhang her: Die weniger Intelligenten sind die sozial niedrigeren Schichten, denn "zwischen Schichtzugehörigkeit und Intelligenzleistung besteht ein recht enger Zusammenhang"; gemessene Intelligenz habe noch größeren Einfluss auf berufliche Leistungen und Lebenserfolg als soziale und ökonomische Faktoren. Für Sarrazin steht fest: "Aus der Oberschicht und der oberen Mittelschicht stammen in Deutschland die meisten Hochbegabten." Doch gerade die kriegen kaum Kinder.
Sarrazin folgert: "Dass in Deutschland überdurchschnittlich viele Kinder in sogenannten bildungsfernen Schichten mit häufig unterdurchschnittlicher Intelligenz aufwachsen, lässt uns schon aus rein demografischen Gründen durchschnittlich dümmer werden." Und so hängen vom IQ und unseren Genen am Ende nicht nur schulische, akademische und berufliche Erfolge ab, sondern auch der wirtschaftliche Erfolg von Nationen, denn für diesen bräuchte es "eine überdurchschnittliche Fruchtbarkeit der wirtschaftlich Erfolgreichen".
"Hohe Geburtenrate, niedriger Intelligenzquotient"
Überflüssig zu sagen, dass Sarrazin gerade die hohe Geburtenrate der Zuwanderer ängstigt, die einen großen Teil der sozialen Unterschicht ausmachen: "Die drei Migrantengruppen mit den größten Bildungsdefiziten und den höchsten Sozialkosten sind auch jene, die sich am stärksten vermehren. Menschen mit Migrationshintergrund Jugoslawien, Türkei, Nah- und Mittelost sowie Afrika stellen sechs Prozent der Bevölkerung in Deutschland, auf sie entfallen aber gut elf Prozent aller unter 15-Jährigen." Sarrazin sieht bei Migranten aus dem Nahen Osten "genetische Belastungen": vor allem "durch die dort übliche Heirat zwischen Verwandten".
In sein Auseinandersetzung mit dem Islam beschreitet Thilo Sarrazin weitgehend das bereits bekannte Terrain gängiger Islam-Kritiker, etwa wenn er pauschal über patriarchale Strukturen, gewaltbereite Jugendliche, undemokratische Zustände in islamischen Ländern klagt und die Unterscheidung von Islam und Islamismus in Frage stellt. Sarrazins Vokabular ist einseitig, undifferenziert, in seiner Verallgemeinerung falsch und verletzend. Das eigentlich Neue gegenüber anderen Multi-Kulti-Kritikern ist seine Rückführung auf die Gene.
Man soll die Herausforderungen für Deutschlands Politik ernst nehmen. Nur Sarrazin liefert eine pauschale - und oft ermüdende - Zusammenschau verschiedener Fakten. Ob das Buch die Aufmerksamkeit auch wert ist, muss der Leser entscheiden.