Wahlbeobachter der OSZE zum ersten Mal in Deutschland. | Wenig Reibungsflächen für Koalition im Wahlkampf. | Spannung kam erst in den letzten Tagen auf. | Insgesamt 3556 Kandidaten auf 27 Parteilisten bewerben sich am 27. September in 299 Wahlkreisen um einen Sitz im Deutschen Bundestag. Etwa 62,2 Millionen Deutsche sind wahlberechtigt, 32,2 Millionen Frauen und 30 Millionen Männer. Die Zahl der Wahlberechtigten ist damit etwas größer als vor vier Jahren, als rund 61,9 Millionen Deutsche wählen durften. Damit bei den Wahlen in Deutschland auch wirklich alles mit rechten Dingen zugeht, wird die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) erstmals eine Wahlbeobachtungsmission entsenden.
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Seit gut zwanzig Jahren stellen die Wahlforscher fest, dass die Wähler sich immer später und immer knapper am Wahltag erst entscheiden. Da gleichzeitig die Zahl der zuverlässigen Stammwähler kontinuierlich zurückgeht, werden Prognosen über den Wahlausgang immer unsicherer und unschärfer. Ohnehin werden bei jeder genannten Prozentzahl die statistischen Schwankungsbreiten ausgeblendet, sodass bei knappen Unterschieden ein und die gleiche Partei sowohl vor als auch hinter der Konkurrenz liegen kann.
In dieser Wahlauseinandersetzung sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Parteien mitunter recht erheblich: So liegt die Union (also CDU und CSU) konstant um einen zweistelligen Prozentsatz vor ihrer Herausforderin SPD. Knapp wird es erst, wenn man die Frage stellt, wer das Land nach der Wahl regieren soll. Denn die beiden Hauptlager - hier das bürgerliche aus Union und FDP (schwarz-gelb) und dort das linke aus SPD, Linkspartei und Grünen (rot-rot-grün) - liegen Kopf an Kopf.
Schwarz-Gelb verliert
Lange Zeit hatte das bürgerliche Lager die Nase eindeutig vorn, doch im Zuge des heißen Wahlkampfes scheint die bürgerliche Mehrheit zu schrumpfen. Bei der neuesten Wochenumfrage des Forsa-Instituts für "Stern" und RTL liegen Union und FDP erstmals seit Monaten unter einer absoluten Mehrheit der Stimmen, der Vorsprung auf SPD, Grüne und Linkspartei verringerte sich auf 49 zu 45 Prozent. Das Institut für Demoskopie in Allensbach ermittelte für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" sogar nur noch eine hauchdünne schwarz-gelbe Mehrheit von 48 zu 47 Prozent.
Der Wahltermin - letzter Sonntag im September - steht seit Jänner fest. An diesem Tag werden gleichzeitig auch die Landtage in Schleswig-Holstein und in Brandenburg gewählt. Dennoch ist von einem Wahlfieber die meiste Zeit nichts zu spüren gewesen. Woran lag das?
Die beiden Großparteien hatten die letzten vier Jahre gemeinsam regiert. Franz Müntefering von der SPD hatte gleich zu Anfang der Legislaturperiode die Parole ausgegeben, dass die Koalition nur gemeinsam erfolgreich sein könne oder gemeinsam untergehen werde. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, hatten sich beide Koalitionspartner solidarisch an diese Parole gehalten. Und sie waren damit nicht erfolglos. Ihr größtes Verdienst war und ist es, das Staatsschiff durch die schwere Wirtschaftskrise einigermaßen souverän gelenkt zu haben.
Eine solche harmonische Ausgangslage bietet beiden Seiten wenig Reibungsflächen und Profilierungs- chancen. Als Juniorpartner hat die SPD dafür zweifellos den größten Tribut gezahlt, denn ihre Umfragewerte liegen stabil auf dem niedrigsten Niveau in der Geschichte der Bundesrepublik. Angela Merkel kann inzwischen den Kanzlerbonus für sich buchen und friedfertig durch die Lande ziehen.
Nur kleine Scharmützel
Dem Wahlkampf 2009 fehlt also das Knistern. 84 Prozent der Deutschen finden diese Kampagne wenig bis gar nicht interessant. Der Berliner Politikwissenschafter Gero Neugebauer meint dazu: "Im aktuellen Wahlkampf ist es ohnehin so, dass die kleinen Parteien die Themen besetzen, die polarisieren. Der Wahlkampf der großen Parteien ist ja, vorsichtig gesagt, inhaltsleer."
Inhaltsleer und langweilig - das muss man leider der diesjährigen Wahlbewegung wirklich bescheinigen. Keine guten Aussichten für eine hohe Wahlbeteiligung. Lange Zeit blieb es bei kleineren Scharmützeln und Geplänkeln. Die SPD versuchte, den Newcomer im Wirtschaftsressort, Karl-Theodor zu Guttenberg, zu zermürben und als Galionsfigur eines kalten Liberalismus zu denunzieren, was aber angesichts der ruhigen Reaktion und des hohen Beliebtheitsgrades an ihm abprallte.
Der Steuerzahler war mit dem bayrischen Freiherren daccord, dass auch in einer Krise die staatliche Subventionitis ihre Grenzen haben müsse. Die Weigerung, den staatlichen Geldhahn weiter aufzudrehen, brachte ihm neue Sympathien ein. Dies galt trotz der drohenden Pleite von Opel und Arcandor (Wertheim).
Für einigen Wirbel sorgte die SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt mit ihrer Dienstwagenaffäre. Es war dem braven deutschen Michel schwer zu vermitteln, warum sie ihren Dienstwagen samt Chauffeur von Berlin nach Südspanien beorderte, weil sie in ihrem Urlaubsort den Bürgermeister besuchte. Damit verhagelte sie ihrem Parteifreund Frank-Walter Steinmeier, Kanzlerkandidat der SPD, die als Großinszenierung geplante Vorstellung seines "Kompetenzteams", einer als Schattenkabinett gedachten Riege von zunächst 18 Personen, die Frau Schmidt nach einigem Hin und Her dann doch noch auf 19 aufstockte.
Die SPD versuchte im Gegenzug, die Fremdvergabe eines Gesetzentwurf an die Anwaltskanzlei Linklaters durch Minister Guttenberg zum Skandal aufzubauschen. Doch die Angriffslinie zerbröckelte, als klar wurde, dass der CSU-Mann damit seine SPD-Kabinettskollegin, Justizministerin Zypries, ausstechen konnte, weil sie ihren Entwurf für ein Bankengesetz nicht fristgerecht liefern konnte.
So blieben für den eigentlichen Parteienstreit kaum echte Themen übrig. Die ungleichen Gewichte zwischen den Parteien und der bislang klare und stabile Vorsprung des bürgerlichen Lagers hat die Wogen zusätzlich geglättet und selbst die Opposition paralysiert.
Brocken auf dem Weg
Dies änderte sich erst am 30. August, als im Saarland, in Thüringen und in Sachsen neue Landtage gewählt wurden, bei denen die CDU zum Teil schwere Verluste hinnehmen musste. Auch wenn die SPD davon kaum profitieren konnte, sah sie doch die schwarz-gelbe Mehrheit geschwächt und bekam somit Aufwind für ihren Kampfesmut.
Seither ist der Wahlkampf zwar nicht themenreicher, dafür aber spannender geworden. Einige große Themenbrocken liegen noch auf dem Weg:
* die Staatsfinanzen und damit sowohl die Entwicklung von Steuern als auch von Transferleistungen;
* die Überwindung der Finanz- und Wirtschaftskrise (und der Probleme des Arbeitsmarktes);
* die Umsetzung der Gesundheitsreform;
* der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan;
* die Zukunft der Energiepolitik.
Die Plakatlandschaft weicht diesen harten Themen völlig aus. Arbeit für alle, die sich auch wieder lohnen muss; Bildung und Gesundheit für alle - die Strategen backen bunte, schmackhafte Allgemeinplätzchen. Schlaraffia für alle, ist man versucht zu ergänzen.
Ein letztes Aufflackern der fast erkalteten Glut erhoffen sich die politisch Interessierten nun vom kommenden Sonntag, an dem sich Angela Merkel und ihr Stellvertreter sowie Herausforderer Frank-Walter Steinmeier zum ersten und einzigen Mal am TV-Tisch gegenüber sitzen werden. Das Duell wird von den vier größten TV-Sendern zeitgleich übertragen und anschließend in Talk-Runden kommentiert werden. Ob dies noch den letzten Bauchaufschwung in einem lauen Kampf bringt?
Siehe auch:Ein jeder, wie er kann und sich traut