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Deutsche Wahl wird noch einmal spannend

Von WZ Online

Europaarchiv

Im deutschen Bundestags-Wahlkampf ist das TV-Duell zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und der Unions-Kandidatin Angela Merkel auf immenses Interesse gestoßen: Fast 21 Millionen Zuschauer verfolgte die Debatte in vier Programmen.


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In ersten Umfragen wurde Merkel bescheinigt, die Erwartungen übertroffen zu haben. Mit klarem Vorsprung bewerteten die Zuschauer aber Schröder als sympathischer und überzeugender. Deutlich vorn lag er auch bei der Frage, wer lieber als Kanzler gewünscht wurde.

Wie die Sender am Montag mitteilten, entspricht dies einem Marktanteil von 59,7 Prozent. Damit war das Streitgespräch die bisher meistgesehene Sendung dieses Jahres im deutschen Fernsehen. Die ARD lag mit 9,69 Millionen Zuschauern vor ZDF, RTL und Sat.1, die die Debatte ebenfalls live übertragen hatten.

Zwei Wochen vor der Wahl sahen Politiker von SPD und Grünen den Kanzler als Sieger des Duells, Politiker von Union und FDP sprachen der Kandidatin einen Erfolg zu. Medien-Experten betonten, Schröder sei seinem Fernseh-Talent gerecht geworden. Merkel habe sich aber souverän gezeigt und damit besser als erwartet abgeschnitten.

Merkel sei überzeugender beim Thema Arbeitsmarkt gewesen, hieß es weiter. Ihr würde auch zugetraut, neue Stellen zu schaffen. Schröder lag dagegen beim Thema Außenpolitik wie Pensionen weit vorne.

Am 12. September treffen der Kanzler und seine Herausforderin noch einmal im Fernsehen aufeinander. Mit dabei sind dann aber auch die Spitzenkandidaten der Grünen, der CSU, der FDP und der Linkspartei.

Die jüngsten Wahl-Umfragen bestätigten erneut eine knappe Mehrheit von Union und FDP vor Rot-Grün plus Linkspartei.

Pressestimmen: "Merkel besser als erwartet"

FTD - Financial Times Deutschland

"Das mit Spannung erwartete TV-Duell hat der Amtsinhaber gestern Abend für sich entschieden. (...) Beide Kandidaten zeigten sich bei Themen wie Arbeitsmarkt, Rente oder Außenpolitik gut vorbereitet. Schröder nutzte den teils detaillierten Schlagabtausch, um die Politik Merkels als ungerecht und unsozial zu beschreiben. Die CDU-Vorsitzende pochte hingegen auf die Versäumnisse der Regierung Schröder, die ihrer Ansicht nach für schwaches Wachstum und hohe Arbeitslosigkeit verantwortlich sind."

Berner Zeitung

"Amtsinhaber Schröder gab den erfahrenen Staatsmann, der verbal des Öfteren darüber den Kopf schüttelte, mit welchen naiven Ideen die Frau aus dem Osten da antritt, freilich dosiert genug, um nicht als Polit-Macho dazustehen. Merkel zeigte sich deutlich angriffslustiger, für ihre Verhältnisse auch einigermaßen locker, aber auch wieder ein wenig zu eifrig, zu musterschülerhaft. Hat das TV-Duell die Entscheidung der Deutschen beeinflusst? Merkel hat insgesamt besser abgeschnitten als erwartet, aber Schröder hat ebenfalls gepunktet. Die deutsche Bundestagswahl wurde wohl doch nicht in einem Fernsehstudio entschieden."

Libération

"Anfangs mit bleichem Gesicht und verkrampften Zügen, hat Angela Merkel von der zweiten Frage an begonnen, sich zu entspannen. Der Kanzler hat es vermieden, den 'Macho' zu spielen, doch er konnte einige gezwungene Lacher und herablassende Bemerkungen nicht verkneifen. Inhaltlich enthielten die Argumente der beiden Kandidaten keine Überraschung. (...) Der scheidende Kanzler wird es zweifellos nicht schaffen, seinen Erfolg von vor drei Jahren zu wiederholen. Die konservative Kandidatin kann sich dennoch nicht auf den Umfragen ausruhen. Denn es ist nicht sicher, dass sie eine Koalition mit der FDP bilden kann. Eine Große Koalition wäre für Angela Merkel aber nur ein halber Erfolg. Und sie trüge zahlreiche Risiken für die SPD."

Le Soir (Brüssel)

"Gegenüber der nervösen und manchmal eingeschüchterten konservativen Kandidatin, die sich in den Zahlen verhedderte, trat der Kanzler auf wie jemand, der eine Lektion erteilt. In einem mit Spannung erwarteten Fernsehduell, das gleichzeitig von den beiden großen öffentlichen Sendern und zwei Privatkanälen übertragen wurde, hat Gerhard Schröder gestern Abend versucht, den Wählern vor einem Aufstieg der Rechten an die Macht Angst einzujagen. (...) Locker gegenüber einer wenig überzeugenden Angela Merkel hat Schröder auf deren Attacken nicht reagiert."

Neue Zürcher Zeitung" (NZZ)

"Das am Sonntagabend im deutschen Fernsehen übertragene Streitgespräch zwischen Bundeskanzler Schröder und seiner Herausforderin Merkel bedeutete das Aufeinandertreffen zweier Politikertypen, die unterschiedlicher nicht sein können: Auf der einen Seite der Medienkanzler, der sich vor der Kamera zu produzieren weiß wie keiner seiner Vorgänger. Ihm gegenüber die manchmal spröde CDU-Vorsitzende, die sich bewusst mancher medialen Zumutung verweigert. Am Sonntag vermochte dann aber keiner der Kontrahenten einen eindeutigen Vorteil zu verbuchen."

Le Figaro

"Eineinhalb Stunden ohne große Dummheiten, aber auch ohne neue Argumente vor Millionen Fernsehzuschauern, die der Arbeitslosigkeit und der Rente genauso viel Aufmerksamkeit schenken wie dem kleinsten Zeichen der Nervosität des Einen oder Anderen. Denn das Ereignis war bereits lang und breit von Experten aller Art, Journalisten, Politologen und Politikern fein seziert worden, bevor es überhaupt stattfand. Selbst wenn manche die neue "Amerikanisierung" der politischen Sitten beklagen, so dürfte diese Art Fernsehduell fortan zu jeder deutschen Wahl gehören. Das kann in einem Land nicht erstaunen, wo ein Bundestagsabgeordneter die Präsentatorin einer Talk-Show dazu beglückwünschen kann, 'mehr Einfluss auf die politische Tagesordnung zu haben als der Bundestag'".

La Repubblica

"Er war besser, aber damit hatten auch alle gerechnet. Sie hat es verstanden, sich schneidender, präziser, kämpferischer als erwartet zu zeigen. Er schien ganz Herr seiner selbst zu sein und war ebenfalls kämpferisch. Er hat seine sieben Jahre an der Macht verteidigt, 'sieben Jahre mit Reformen, steigendem Export, in denen Deutschland für Frieden stand'. Sie hat hingegen an den Skandal der außer Kontrolle geratenen Arbeitslosigkeit erinnert, an das schwache Wachstum, an den noch immer zerrütteten öffentlichen Haushalt.

Das mit Spannung erwartete Duell zwischen dem sozialdemokratischen Kanzler Gerhard Schröder und der christdemokratischen Herausforderin Angela Merkel hat ganz Deutschland leidenschaftlich verfolgt. Den ersten Umfragen zufolge hat er gewonnen, aber alle hatten ihn eh als Favoriten betrachtet. Sie hat verloren, erschien aber viel besser als erwartet."