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Deutscher an der Westminster Abbey

Von Markus Kauffmann

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Markus Kauffmann , seit 22 Jahren Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.

Wer sich der Londoner Westminster Abtei vom Westen nähert, kann über dem gotischen Portal die Statuen von zehn Märtyrern sehen. Der Bildhauer hat sie dort in die gotischen Nischen so einfühlsam hineinkomponiert, dass kaum jemand den Anachronismus bemerkt: Während der Dom im Mittelalter entstand, stammen die Statuen und die Dargestellten aus dem 20. Jahrhundert.


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Darunter befinden sich der im KZ ermordete Pole Maximilian Kolbe, der amerikanische Bürgerrechtler Martin Luther King und - der deutsche Verlobte der Maria von Wedemeyer.

Ein Deutscher, ein Kriegsfeind, als Statue auf einem britischen Nationalheiligtum? Wer hat es geschafft, als "Opfer von Unterdrückung und Gewalt" auf diese ungewöhnliche Weise geehrt zu werden?

Es war der aus dem niederschlesischen Breslau stammende Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer. Zwei Monate nach seiner Verlobung mit Maria wurde er von den Nazis ins Gefängnis geworfen. Der Briefwechsel, den sie mit ihrem inhaftierten Bräutigam führte ("Brautbriefe Zelle 92"), machte sie erst posthum bekannt.

Drei Wochen vor seinem Selbstmord ordnete Hitler die Hinrichtung aller noch nicht exekutierten "Verschwörer des 20. Juli" an - damit auch Bonhoeffers. In der Morgendämmerung des 9. April 1945 musste er sich vor der Hinrichtung entkleiden und nackt zum Galgen gehen - einen Monat vor Kriegsende. Der Lagerarzt berichtete später, Bonhoeffer habe ruhig und gesammelt gewirkt, sich von allen Mithäftlingen verabschiedet und ein kurzes Gebet gesprochen.

Obwohl ihm eine Beteiligung am Stauffenberg-Attentat nie nachgewiesen werden konnte, gilt heute als historisch gesichert, dass Bonhoeffer sowohl mit den Verschwörern des Kreisauer Kreises als auch denen um Admiral Canaris in Verbindung stand. Das war für den bekennenden Pazifisten und Prediger des gewaltfreien Widerstandes eine prekäre Wendung. Tatsächlich wurde Bonhoeffer, Pfarrer der "Bekennenden Kirche", einer evangelisch-lutherischen Kirche, bis in jüngste Tage auch für das gewaltsame Vorgehen gegen Tyrannen in Anspruch genommen (unter anderem von George W. Bush im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg).

Dennoch gebührt ihm die Ehre eines aufrechten Christen und redlichen Kämpfers für die Menschenwürde. Zum ersten Mal geriet er in Gegensatz zum Nazi-Regime, als er sich gegen den Arierparagrafen zur Wehr setzte, nach dem alle getauften Juden aus der evangelischen Kirche auszuschließen seien. Mit Martin Niemöller und anderen gründete er den "Pfarrernotbund", den Vorläufer der Bekennenden Kirche.

Bonhoeffer dachte Zeit seines Lebens in globalen Zusammenhängen und ebenso Religions-übergreifend. Er studierte und praktizierte in New York, er wich den Nazis zeitweise nach London aus, wo er eine Pfarrei leitete, und er trat stets für die Ökumene, ja für eine Art religiöser Aussöhnung mit Heiden ein. Lediglich das Vorhaben, bei Ghandi in Indien Methoden des gewaltfreien Widerstandes zu erlernen, konnte er nicht mehr verwirklichen.

Bonhoeffers Theologie ist ebenso umstritten wie seine Wende vom Pazifismus zum Verschwörer. Unumstritten hingegen ist seine moralische Integrität, die gegenüber dem Faschismus und Antisemitismus eindeutig, konsequent und selbstlos war. Als er von den USA nach Deutschland zurückkehrte, wusste er um sein Risiko. Doch: "Tatenloses Abwarten und stumpfes Zuschauen sind keine christlichen Haltungen. Den Christen rufen nicht erst die Erfahrungen am eigenen Leibe, sondern die Erfahrungen am Leibe der Brüder, um derentwillen Christus gelitten hat, zur Tat und zum Mitleiden."