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Deutscher Brandherd: Bildungsreform

Von Markus Kauffmann

Politik

Vier Bundesländer wollen Zentralmatura. | Debatte um Nord-Süd-Bildungsgefälle. | Berlin. Es brennt wieder im deutschen Bildungsdiskurs. Entflammt durch die Frage, ob ein Reifezeugnis in Flensburg "billiger" zu haben sei als in Bad Reichenhall, beziehungsweise ob der Bildungsstandard der rund 430.000 deutschen Abiturienten (Maturanten) überhaupt vergleichbar hoch sei. Das Reizwort, das die Geister scheidet, heißt "Zentralabitur" (Zentralmatura) und meint die Erstellung schriftlicher Prüfungsfragen durch eine zentrale Behörde.


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"Eine Vier in Bayern ist eine Drei in Baden-Württemberg und eine Zwei in Nordrhein-Westfalen", klagen die Befürworter eines deutschen Zentralabiturs.

Das gleiche Argument führen aber auch die Gegner bundeseinheitlicher Prüfungsfragen ins Treffen: Solange es keine einheitlichen Bewertungskriterien gebe, bringe auch ein Zentralabi nicht mehr Gerechtigkeit ins Bildungssystem.

Das Debattenfeuer wird von zwei Ölquellen gespeist: vom Numerus Clausus an deutschen Hochschulen und von der Zuständigkeit der Bundesländer für die Bildung.

Als Brandbeschleuniger dienen diverse Pisa-Studien, die ein Süd-Nord-Bildungsgefälle ausgemacht zu haben glauben.

Abitur hat Symbolwert

Den Funken zündete jetzt der bayerische Kultusminister Siegfried Schneider, der mit seinen Kollegen aus Baden-Württemberg, Thüringen und Sachsen ein länderübergreifendes "Süd-Abitur" plant und hofft, damit andere Bundesländer in Zugzwang zu bringen.

Die Heftigkeit der gegenwärtigen Debatte lässt sich nur durch den Symbolwert der seit 220 Jahre bestehenden Institution "Abitur" erklären. Denn faktisch beeinflussen die Noten aus sämtlichen schriftlichen Prüfungen zusammengenommen die Abiturnote nur mit etwa 15 Prozent. Dennoch weisen die Befürworter darauf hin, dass zentrale Fragen einen "signifikanten Einfluss auf den vorhergehenden Unterricht und die individuelle Prüfungsvorbereitung" hätten und damit die Qualifikationsphase deutlich stärker vereinheitlichten als ein neuer oder geänderter Lehrplan.

Auch die Gegner haben schwerwiegende Argumente. Sie fragen, ob es denn überhaupt einen allgemein akzeptierten Wissenskanon gebe und wer ihn wie festlegen dürfe. "Die unterrichtliche Vorbereitung wird durch die Geheimhaltung der Themen zum Vabanquespiel", befürchten Vertreter der Lehrergewerkschaft GEW. Zur sozialen Ungleichheit käme dann noch eine regionale hinzu.

Diese Gerechtigkeitslücke wollen beide Kontrahenten schließen. Nur über den Weg ist man nicht einig. Gerade erst wurde mit der Föderalismusreform die Alleinzuständigkeit der Länder für Bildungsfragen erstritten, da beschließt die Konferenz der sechzehn Kultusminister (KMK) die Einführung einheitlicher Abitur-Standards ab 2010/11. Dabei geht es um Vergleichbarkeit, nicht um Vereinheitlichung.

Mehrheit ist dagegen

Doch den "Zentralisten" reicht das nicht. Dabei haben drei Bundesländer noch nicht einmal innerhalb ihres Landes ein Zentralabitur eingeführt; sieben weitere haben dies erst seit zwei, drei Jahren - und auch nicht in allen Fächern. Die Einführung eines bundesweit einheitlichen Zentralabiturs lehnt die Mehrheit der Länder ab.

Doch Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) sowie die unionsgeführten "Südländer" plädieren dagegen für das Einheitsabitur. Es wird also weiterbrennen.