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Deutscher Bundespräsident - wozu?

Von Alexander von der Decken

Gastkommentare
Alexander von der Decken ist außenpolitischer Redakteur in Bremen.

Mit dem Fall Christian Wulff verbindet sich eine grundsätzliche Frage: Ist das Parteienwesen noch zeitgemäß?


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Bundespräsident Wulff hat sich entschieden, er setzt auf die Vergesslichkeit der Menschen und will das "Stahlgewitter" der Vorwürfe zu seinem Privatkredit über sich ergehen lassen. Er wird damit Erfolg haben. Gleichzeitig könnte er Wegbereiter eines neuen Politikverständnisses sein, denn die Person Wulff spiegelt die politische Klasse Deutschlands wider, die die Einigkeit von Denken und Handeln sträflich vernachlässigt.

Die Bürger sind der Beschwichtigungsrhetorik überdrüssig, sie sind es leid, mit der normativen Kraft der faktischen Unmoral ruhiggestellt zu werden. Erstmals in der jüngeren Geschichte dieses Landes haben sich Bürger vor dem Schloss Bellevue, dem Amtssitz des deutschen Bundespräsidenten, empört. Und das macht Mut.

Der Bundespräsident hat sein Amt sinnentleert. Das ist einzigartig. In seinem ARD-ZDF-Entschuldigungs-Interview hat er demutsvoll wissen lassen, dass er menschlich gereift sei, dass er dazugelernt habe und nach fünf Jahren Amtszeit eine positive Bilanz vorlegen möchte. Doch die Bundespräsidentschaft ist kein Lehrberuf, sondern ein Amt, das man qua seiner Integrität ausübt - und zwar in moralisch untadeliger und würdiger Form. Krawall-Telefonate mit Chefredaktionen verbieten sich, ebenso Erkenntnissprünge - zumindest in der öffentlichen Darstellung des Amtes.

Wulff bleibt - und mit ihm die Frage, ob das Amt des Bundespräsidenten in Deutschland überflüssig geworden ist. Was würde an der Spitze des Staates fehlen, wenn er ginge? Nichts! Es soll hier nicht über Kosten und Ruhestandsbezüge lamentiert werden - doch ein solch herausgehobenes Wirkungsfeld verlangt eine erkennbare Kosten-Nutzen-Relation zur intellektuellen Gestaltungskraft des Amtsinhabers. Niemand ist unfehlbar, aber es wird auch niemand ins Bundespräsidentenamt gezwungen.

Mit dem Fall Wulff verbindet sich eine grundsätzliche Frage: Ist das Parteienwesen noch zeitgemäß - sprich: noch in der Lage, auf die ökonomischen Erschütterungen mit Strategien zu reagieren, die den Menschen mit ins Zentrum des Denkens und Handelns rücken?

Es geht nicht darum, Parteien per se zu verdammen, aber darum, die moralische Belastbarkeit ihrer Entscheidungen zu prüfen. Es geht darum, Glaubwürdigkeit einzufordern.

Regierungen sind zu politischen Konzernen verkommen, die nach knallhartem Kosten-Nutzen-Prinzip funktionieren. Ethik und Moral orientieren sich an DAX und Dow Jones - an nichts anderem. Warum also nicht die Bundesregierung in eine Marketingabteilung der Deutschen Bank überführen? Da wüsste man dann wenigstens, woran man ist. Eine Management-Etage ohne parteipolitischem Sirenengesang. Bilanzen bieten keinen Platz für Heilsversprechungen und moralische Überhöhungen, die Politik hat als Parkplatz für ambitioniertes und weniger talentiertes Führungspersonal ausgedient.

Bundespräsident Wulff stellt sich dem "Stahlgewitter" und hofft auf das kollektive Vergessen. Er wird damit Erfolg haben. Aber um welchen Preis?