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Deutsches Experiment im Jubelpark

Von Martyna Czarnowska

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In Brüssel wurde die Feier der Wiedervereinigung zum Fest für die Massen.


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Dürfen’s denn das, die Deutschen? Soldaten der Wehrmacht aufmarschieren lassen? Auf fremdem Boden, in Belgien? "Wir dürfen", entschied das deutsche Außenministerium. Und ließ seine ständige Vertretung in Brüssel zu einem Abend einladen, der die Wiedervereinigung gebührend würdigen sollte. Nirgends außerhalb Deutschlands wurde dieser Jahrestag derart festlich begangen, und nirgends gab es so viel finanzielle Unterstützung aus Berlin. Die Video- und Lichtinstallationen allein, die Teile des Jubelparks in Farben und Klänge tauchten, kosteten an die 320.000 Euro. Das Interesse der Öffentlichkeit freilich war geweckt: Hunderte, wenn nicht tausende Menschen versammelten sich vor dem Triumphbogen. Wie viele es waren, war schwer zu schätzen. Denn während gleich daneben bei einem Empfang Diplomaten, EU-Beamte, Journalisten in den hell erleuchteten Hallen der Königlichen Museen für Kunst und Geschichte der deutschen Wein- und Bierkultur die Ehre erwiesen, stolperten die Menschen im abgedunkelten Park über Bänke, Stufen, fremde und ihre eigenen Füße. Wer aber dort bereit war, sich in der Schlange für Bier und Bockwurst anzustellen, erhielt - ausgleichende Gerechtigkeit - immerhin mehr zu essen als die Honoratioren im wesentlich wärmeren Museum.

Dort also, im Jubelpark, den die Belgier zum 50. Jahrestag der Erklärung ihrer Unabhängigkeit angelegt haben, begingen die Deutschen ihren Jahrestag. Eben dort ließen sie die Soldaten aufmarschieren. Der wuchtige Triumphbogen wurde zum Brandenburger Tor, seine Säulen und die dazwischen gespannten Leinwände bildeten die Projektionsfläche für einen Videoclip, der innerhalb weniger Minuten die deutsche - und europäische - Geschichte des letzten Dreivierteljahrhunderts Revue passieren
lassen sollte. Die Verbrechen des Zweiten Weltkrieges, das Auseinanderreißen Europas, der Bau der Berliner Mauer und ihr Fall, dazwischen berühmte Aussagen Winston Churchills, Konrad Adenauers, John F. Kennedys, die Einführung der Gemeinschaftswährung Euro, die Osterweiterung der Union, die Fußball-Weltmeisterschaft, die Finanz- und Klimakrise, die Flüchtlingsnot: All das wurde in die Arbeit gepackt. Die Entwicklung eines Landes innerhalb einer Gemeinschaft galt es zu feiern. Nicht alle Bilder und Botschaften waren in ihrer raschen Abfolge nachvollziehbar, es fehlte nicht an Kitsch, dafür gab es keinen Platz für Subtilitäten. Um die geht es aber bei einer Projektion im Park, die die Massen anziehen soll, auch nicht.

Dennoch dürfte den deutschen Diplomaten im Vorfeld die Anfangsszene ein mulmiges Gefühl bereitet haben. Immerhin zeigte der Filmausschnitt Wehrmachts-Soldaten im Stechschritt, die unter den mit Hakenkreuz-Fahnen behangenen Bögen hindurchstampfen.

Deswegen wurde das Video Tage vor der Aufführung belgischen und danach auch deutschen Journalisten gezeigt. Mehr Einwände hatten Letztere, in deren Heimat schon vor Jahren - und teils auf so hohem Niveau, dass so manch anderes Land neidisch sein könnte - eine Debatte darüber geführt wurde, ob Deutsche wieder stolz darauf sein dürfen, Deutsche zu sein. Die Belgier hatten da anscheinend weniger Probleme: Sie dürfen, lautete die Conclusio.