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Deutsches Gericht ermöglicht Fahrverbote

Von Ronald Schönhuber

Politik
Feindbild Diesel: Vor dem Verfassungsgericht in Leipzig demonstrierten Umweltschützer für Fahrverbote. reuters

Grünes Licht für Diesel-Verbot. Erstes Verbot könnte bereits 2019 kommen.


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Berlin. Angela Merkel hatte ihre Position in den vergangenen Monaten immer wieder klargemacht. "Wir wollen Fahrverbote unbedingt vermeiden", hatte die deutsche Kanzlerin fast schon mantraartig erklärt, wenn sie auf den Gordischen Knoten angesprochen wurde, der rund um den einst so hochgelobten Dieselmotor entstanden ist.

Freie Fahrt in allen Städten sicherzustellen, dürfte für die wohl schon bald stehende neue deutsche Bundesregierung nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts allerdings eine kaum noch zu lösende Aufgabe sein. Denn die Leipziger Höchstrichter haben am Dienstag die Revisionen der Länder Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen zurückgewiesen und damit entschieden, dass Städte auch in Eigenregie, das heißt ohne vorhergehende bundeseinheitliche Regelung, Fahrverbote für Dieselautos verhängen dürfen, um die dort herrschende schlechte Luftqualität in den Griff zu bekommen.

70 Städte über dem Limit

Damit könnte es nun vor allem in Stuttgart und Düsseldorf, jenen beiden Städten, über die in Leipzig konkret verhandelt worden war, relativ schnell gehen. Nach Ansicht des Vorsitzenden Richters Andreas Korbmacher können die ersten Fahrverbote in Stuttgart bereits am 1. September 2018 verhängt werden. Betroffen davon wären sämtliche Dieselfahrzeuge, die maximal die Abgasnorm Euro- 4 erfüllen und damit besonders hohe Mengen an potenziell gesundheitsschädlichen Stickoxiden (NOx) ausstoßen. Bereits am 1. September 2019 könnte das Fahrverbot auch auf Euro-5-Diesel ausgeweitet werden. Betroffen wäre damit die vorletzte Fahrzeuggeneration, deren letzten Modelle erst im Jahr 2016 vom Band liefen.

Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts hat aber nicht nur Auswirkungen auf Stuttgart und Düsseldorf, sie ist auch ein Signal für andere von der Stickoxid-Problematik betroffenen Kommunen. Und davon gibt es viele: Im vergangenen Jahr wurde der seit 2010 geltende Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid in nicht weniger als 70 deutschen Städten überschritten. Gerissen wurden die Limits dabei oft deutlich. So wurden an der Landshuter Allee in München, die mittlerweile das Stuttgarter Neckartor als Messstelle mit der dicksten Luft in Deutschland abgelöst hat, durchschnittlich 78 Mikrogramm Stickstoffdioxid gemessen. Auch Berlin, Köln, Dortmund, Essen, Hamburg und Frankfurt gehören zu den besonders betroffenen Städten.

Wenig Spielraum bei der Vermeidung von Fahrverbot dürfte es dabei vor allem für jenen 20 Kommunen geben, die von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) analog zu Stuttgart und Düsseldorf auf die Verschärfung ihrer Luftreinhaltepläne geklagt worden sind. Denn nach der Grundsatzentscheidung in Leipzig scheint es kaum vorstellbar, dass niedrigere Instanzen hier in absehbarer Zeit anders entscheiden. Hamburg hat daher bereits unmittelbar nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Fahrverbote für zwei besonders belastete Straßenzüge angeordnet. Betroffen sind von der schon ab April geltenden Regelung alle Pkw und Lkw, die die Euro-6-Norm nicht erfüllen.

Kein Personal, keine Plakette

Die Sperrung einzelner Straßenzüge wie in Hamburg dürfte relativ unproblematisch werden. Viel komplizierter scheint die Lage allerdings, wenn es darum geht, Fahrverbote für großflächige Areale oder gleich die ganze Innenstadt zu verhängen. Denn derzeit verfügen die Behörden über kein praxistaugliches Instrument, um Fahrverbote auch exekutieren zu können. Weil es auf der Windschutzscheibe kein erkennbares Zeichen wie etwa die nun heiß diskutierte "Blaue Plakette" gibt, müsste die Polizei anhand der Papiere eines jeden einzelnen Autos überprüfen, ob das Fahrzeug in den entsprechende Schadstoffklasse fällt, oder nicht. Zudem gibt es derzeit viel zu wenig Personal für eine wirksame Überwachung. "Wir haben keine Hundertschaften im Keller, die nur auf neue Aufgaben warten", sagt der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt. Polizeikontrollen für Fahrverbote könne man daher vergessen.

Die Sperrung ganzer Stadtteile würde aber nicht nur den Behörden vor massive Probleme, sondern auch Millionen von Fahrzeughaltern teils erhebliche finanzielle Verluste bescheren. Denn angesichts des VW-Abgasskandals und der nun schon mehr als ein Jahr dauernden Fahrverbotsdiskussion kämpft der Diesel mit massiven Imageproblemen. Allein bei den Vertragshändlern stehen sich derzeit mehr als 300.000 Euro-5-Diesel die Reifen platt, die auch zu deutlich günstigeren Preise nur mit erheblichen Schwierigkeiten verkauft werden können. Mit Fahrerverboten dürften die Preise nun noch einmal deutlich nach unten gehen, da sich vor allem viele Pendler wohl künftig gegen einen Diesel entscheiden werden.

Abhilfe könnte da lediglich eine Nachrüstung bieten, die über die bisher von der Industrie angebotenen Software-Updates weit hinausgeht. So kann der Schadstoff- Ausstoß der fünf Millionen zugelassen Euro-5-Autos nach Einschätzung des Autofahrer-Klubs ADAC um bis zu 70 Prozent verringert werden, wenn NOx-Katalysatoren und die AdBlue genannte Abgasnachbehandlung mit Harnstoff eingebaut werden. Bisher hat sich die Industrie allerdings dagegen gewehrt, die dabei pro Pkw anfallenden Kosten in Höhe von 1400 bis 3300 Euro zu übernehmen. Doch mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts dürfte die Debatte jetzt noch einmal mit aller Macht auflammen. Es sei ungerecht, wenn Besitzer neuer Diesel-Kfz "jetzt das Problem ausbaden müssten", sagte Umweltministerin Barbara Hendricks. Verursacher des Problems seien die Hersteller und diese dürften jetzt nicht aus der Verantwortung entlassen werden.