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Kapital ist scheu wie ein Reh. Bei Politikern kommt dieser viel zitierte Spruch derzeit alles andere als gut an, in der Finanzwelt hat er aber schon seit jeher seine Gültigkeit. Tauchen am Horizont Wolken auf (in Form von Problemen), zieht sich das Kapital in Windeseile zurück, um sich einen neuen Platz mit besserem Wetter zu suchen.
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Der Idealfall wäre somit, dass gerade für spekulative Finanzgeschäfte überall die selben Regeln gelten. Doch davon sind Europa und vor allem die übrige Welt trotz ihrer bitteren Erkenntnisse aus der Finanzkrise leider noch weit entfernt.
So gesehen ist der deutsche Alleingang beim Verbot bestimmter Börsenwetten nicht mehr als ein zweifelhaftes Vorpreschen, das kaum Effizienz verspricht. Der Vorstoß Berlins ist zwar verständlich: Einer exzessiven Spekulation - vor allem gegen kriselnde Euroländer - soll so der Wind aus den Segeln genommen werden. Mit ihrem Verbot ungedeckter Leerverkäufe von Staatsanleihen aus der Eurozone und auch von Kreditausfallversicherungen auf Anleihen dieses Währungsraums greift die deutsche Regierung jedoch ins Leere.
Denn bestimmte Finanzgeschäfte in einem Land zu untersagen, setzt den dortigen Markt keineswegs außer Kraft, sondern verlagert ihn nur an andere Orte. Sowohl die deutschen Banken als auch der Chef der Deutschen Börse, Reto Francioni, haben darauf am Donnerstag hingewiesen. Fazit: Das für Deutschland geltende Verbot ist zahnlos, weil so gut wie alle großen Finanzakteure global aufgestellt sind und die untersagten Geschäfte jederzeit woanders abgewickelt werden können (etwa in New York, London oder Hongkong).
"Stellen Sie sich die Finanzströme wie eine Autobahn vor. Die schaffen Sie auch nicht ab, weil es Geisterfahrer gibt", wird Börsenprofi Francioni dazu im "Handelsblatt" zitiert.
Der deutsche Banksektor spielt den Ball wiederum zurück an die Politik und betont, dass sich die Spekulation gegen hochverschuldete Länder nur über Haushaltssanierung wirksam bekämpfen lasse. Sein Argument: "Spekulation macht ein Problem sichtbar, sie ist aber nicht die Ursache."
Beim Versuch, die Märkte zu zügeln, geht es freilich - gerade jetzt - vor allem auch um die Rettung des Euro. Dass Deutschland als größte und wichtigste Wirtschaftsnation der EU eigenmächtig und ohne Absprache mit Brüssel gehandelt hat, kann man daher auch als politisches Signal an die anderen Mitgliedstaaten interpretieren, den Kampf gegen exzessive Spekulation rasch aufzunehmen.
Die EU-Kommission, die mit dem "Vorgreifen" Berlins so wie Frankreich keine Freude hat und auf akkordiertes Vorgehen pocht, will erst im Herbst formelle Vorschläge für die Regelung von Leerverkäufen vorlegen. Gezielte Eingriffe sind aber schon jetzt gefragt. Und das hat Deutschland zweifelsohne erkannt. Auch wenn sein Verbot auf nationaler Ebene vorerst wirkungslos bleibt: Für Brüssel ist der Druck, schneller zu handeln, deutlich gestiegen.