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"Deutschkenntnisse haben mit Schulreife nichts zu tun"

Von Bettina Figl

Politik
Besser Lehrkräfte ausbauen als Vorschulklassen, lautet der Tenor von Praktikerinnen und Bildungsexpertinnen.
© Gert Eggenberger

Kritik von Bildungswissenschafterin Czejkowska: "Kein Konzept dahinter."


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Wien. Als "absolut rückständig" und "ohne pädagogisches Konzept dahinter" bezeichnet Agnieszka Czejkowska, Bildungswissenschafterin an der Grazer Karl-Franzens-Universität, den Ruf von Staatssekretär Sebastian Kurz nach Deutschkenntnissen als Kriterium vor dem Schuleintritt.

"Kinder lernen Deutsch innerhalb weniger Monate"

Für die Kinder wäre es eine weitere Stigmatisierung und gäbe es nichts Schlimmeres, als ein Jahr zurückzufallen, indem sie in Vorschulklassen zurückgestellt werden, sagt Czejkowska zur "Wiener Zeitung". Für Czejkowska macht der Vorstoß auch aus pädagogischer Sicht keinen Sinn: "Kinder lernen Deutsch innerhalb weniger Monate." Nicht nur der Vorschlag selbst, auch der Zeitpunkt kommt für sie absolut überraschend: "Die Konzepte werden ja gerade erst entwickelt," - hinter dem "Schnellschuss" vermutet sie Wahlkampf-Taktik.

"Es ist ganz klar, dass der Zeitpunkt des Schuleintritts an die Entwicklung des Kindes angepasst sein muss", so Czejkowska. Ähnlich differenziert sieht es eine Wiener Volksschuldirektorin: "Manche Kinder passen in die Vorschulklasse, für andere ist es besser, wenn sie integrativ in einer 1. Klasse starten" - unabhängig der Deutschkenntnisse. In den kommenden beiden Wochen wird die Leiterin einer Schule in Wien-Simmering wieder über die Schulreife von einigen Dutzend Kindern entscheiden.

Derzeit spricht an ihrer Schule jedes der 17 Vorschulkinder eine andere Muttersprache als Deutsch - doch bei keinem von ihnen war das der alleinige Grund für den verschobenen Schulstart, denn: "Die Deutschkenntnisse haben mit der Schulreife nichts zu tun". "Ich konnte Deutsch, war aber sehr schüchtern und hab mich nicht getraut, zu reden", erzählt die 21-jährige Lehramtsstudentin Melisa Aljovic.

"Ich wäre wohl inder Vorschule gelandet"

Die geborene Bosnierin ist angehende Deutschlehrerin und sagt: "Nach strengen Kriterien wäre ich wohl in der Vorschule gelandet." Ihrer Ansicht nach "darf es nicht auf den Direktor alleine ankommen, aber so viel Spielraum, dass auf jeden individuell eingegangen werden kann, braucht es schon".

An besagter Volksschule in Wien-Simmering haben 84 Prozent der Kinder eine andere Muttersprache als Deutsch, die Angst der "Ghettoisierung" einiger Kollegen teilt die Direktorin aber nicht: "Wenn Kinder eine andere Muttersprache haben bedeutet das nicht, dass sie nicht Deutsch können." Wichtig sei vielmehr, dass der "kunterbunte Haufen" von zwei Lehrkräften betreut werde, zumindest in den ersten beiden Schulstufen. Doch das sei personell derzeit nicht zu schaffen, seit einigen Jahren werde bei der Stundenvergabe extrem gespart.

Bei den Deutschkenntnissen der Taferlklassler habe sich einiges getan, so die Direktorin, die dies auf das verpflichtende Kindergartenjahr zurückführt. Jene Kinder, die im Jänner noch nicht gut genug Deutsch sprechen, lädt sie im Juni noch einmal vor, denn "innerhalb eines halben Jahres kann sich viel tun". Wichtig ist ihr, dass die Einhaltung des verpflichtenden Kindergartenjahrs in der Praxis überprüft wird. Derzeit werden Gespräche mit Eltern geführt, auch Geldstrafen sind möglich. Bislang war das in Wien in nur etwa zwei Dutzend Fällen der Fall.

Da in Wien die ersten Einschreibungen am Montag starten, hoffen Direktoren auf weitere Informationen bei einer Konferenz mit dem Stadtschulrat am Monat. Die Ankündigung von Bildungsministerin Claudia Schmied, Praktiker sollten seriös entsprechende Konzepte erarbeiten, wird jedenfalls gutgeheißen.