)
Der deutsche Bundespräsident Horst Köhler behält sich vor, nach der gescheiterten Vertrauensfrage von Bundeskanzler Gerhard Schröder im Bundestag die volle gesetzliche Frist auszuschöpfen, um eine mögliche Auflösung des Parlaments zu prüfen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 19 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Artikel 68 Abs.1 des deutschen Grundgesetzes sehe vor, dass der Bundespräsident binnen 21 Tagen eine Entscheidung treffen müsse, heißt es in einer am Freitag verbreiteten Erklärung des Präsidialamts in Berlin: "Die für die Entscheidung über den Vorschlag des Bundeskanzler zu prüfenden Fragen sind komplex. Der Bundespräsident hat sich vorbehalten, die in Art. 68 Abs. 1 Grundgesetz festgelegte Frist auszuschöpfen." Zuvor hatte Köhler Schröder zu einem kurzen Besuch im Bundespräsidialamt empfangen. Dabei habe der Kanzler dem Bundespräsidenten vorgeschlagen, den Bundestag aufzulösen.
Eine Neuwahl über den Weg einer gezielt herbeigeführten Abstimmungsniederlage bei der Vertrauensfrage gilt unter Verfassungsjuristen als umstritten. Der in seiner eigenen Partei umstrittene Grünen-Bundestagsabgeordnete Werner Schulz hat bereits eine Klage vor dem Verfassungsgericht angekündigt: Als "absurdes, inszeniertes Geschehen" attackierte der Schulz bei seiner Bundestagsrede am Freitag die Vertrauensfrage von Bundeskanzler Gerhard Schröder und brüskierte damit auch seine eigene Koalition.
Verfassungsrechtler: Schröders Vertrauensfrage verfassungskonform
Begründet hat der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder die Vertrauensfrage mit der Serie von Wahlniederlagen der SPD sowie fehlenden Rückhalt für seinen Reformkurs. Führende deutsche Verfassungsrechtler erachten die Vorgangsweise des Kanzlers für verfassungskonform:
Hans Herber von Arnim (Verwaltungshochschule Speyer): "Ich gehe davon aus, dass das Vorgehen Schröders einer Überprüfung durch den Bundespräsidenten und auch durch Karlsruhe standhalten wird. Das ist meines Erachtens nach ganz rund - politisch sowieso, aber auch verfassungsrechtlich. Schröder hat im Sinne seines Amtseides und das des Bundespräsidenten gehandelt, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden und seinen Nutzen zu mehren. Das muss verfassungsrechtlich bei der Auslegung des Artikel 68 mit herangezogen werden. Ich rechne damit, dass Bundespräsident Köhler die drei Wochen nicht ausschöpft für eine Entscheidung. Das wird jetzt relativ schnell gehen."
Christian Hillgruber (Universität Bonn): "Ich war bislang zwar ausgesprochen skeptisch, aber nach der Rede des Bundeskanzlers bin ich der Meinung, dass er die instabile Lage im Parlament gut vertretbar dargelegt hat. Soweit es von einem Politiker verlangt werden kann, hat Schröder die Karten offen auf den Tisch gelegt. Dabei ist seine Einschätzung der Lage gut nachvollziehbar. Der Bundespräsident hat jetzt keine Veranlassung mehr, sich über die Einschätzung des Bundeskanzlers hinwegzusetzen. Er hat daher trotz des ihm zustehenden Ermessens wohl keine Alternative zur Bundestagsauflösung. Auch das Bundesverfassungsgericht wird den Vorgang als verfassungskonform bestätigen."
Peter M. Huber (Universität München): "Es war die richtige Begründung, um Neuwahlen zu erreichen. Schröder hat nachvollziehbar klar gemacht, dass die politische Situation aus seiner Sicht nicht mehr haltbar ist und er seiner Mehrheit im Bundestag nicht mehr sicher sein kann. Seine Ansicht wurde auch bestätigt durch das Abstimmungsergebnis. 151 Koalitionsabgeordnete haben ihm das Vertrauen ausgesprochen, obwohl Müntefering der Fraktion die Enthaltung empfohlen hat. Das zeigt, dass die Koalition tatsächlich Auflösungserscheinungen und Absetzbewegungen zeigt. Der Bundespräsident kann nun guten Gewissens die Auflösung des Bundestages anordnen. Auch das Bundesverfassungsgericht dürfte nach einer Gesamtschau aller Umstände zu dem Schluss kommen, dass der Vorgang verfassungsgemäß war."
Erhard Denninger (Universität Frankfurt): "Entscheidend ist, dass der Bundeskanzler einen Einschätzungsspielraum hat über die politische Lage. Der Bundespräsident ist an diese Einschätzung gebunden, wenn sie nicht evident unsinnig ist. Das kann ich hier nicht sehen. Die Sache ist aus meiner Sicht ausreichend begründet worden. Schröder hat unter anderem Auflösungserscheinungen in der SPD herausgestellt. Dass ein ehemaliger SPD-Vorsitzender nun an der Spitze einer Linksabweichlerbewegung steht, ist Ausdruck dieser Auflösungserscheinungen."