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Die Europäische Kommission solle zu einer "europäischen Regierung" ausgebaut und der mächtige Ministerrat in eine "Staatenkammer" umgewandelt werden. Das Europäische Parlament solle volle Budgethoheit erhalten und bestimmte Kompetenzen etwa in der Strukturpolitik von der europäischen wieder auf die nationale Ebene verlagert werden. Deutschlands Bundeskanzler Gerhard Schröder ließ diese seine Reformideen am Wochenende wie einen Versuchsballon steigen. Erstmals veröffentlicht wurden Schröders Vorstöße im "Spiegel", nächsten Montag, den 7. Mai, sollen sie dem SPD-Präsidium zur Beschlussfassung vorgelegt werden.
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Das größte EU-Land meldet sich erneut mit Reformvorschlägen zu Wort. Die Inszenierung scheint perfekt gelungen. Fast auf den Tag genau ein Jahr nach der Grundsatzrede seines Grünen Außenministers Joschka Fischer in der Berliner Humboldt-Universität werden Bundeskanzler Schröders Umbauideen zur EU bekannt. Fischer hatte sich unter anderem für eine "Europäische Föderation" und eine zweite Kammer, nach dem Vorbild des amerikanischen Senats oder des deutschen Bundesrats, ausgesprochen. Zum Teil heftig waren die Reaktionen in den EU-Partnerländern. Inzwischen ist der lange ersehnte EU-Reformgipfel von Nizza über die Bühne gegangen; er sollte die Institutionen der Union auf eine möglicherweise auf 28 angewachsene Mitgliederzahl vorbereiten. Skeptisch reagieren auch jetzt die EU-Länder auf die deutschen Reformvorschläge. Klar ist: Deutschland möchte Europa seinen Stempel aufdrücken. War es doch der selbe Gerhard Schröder, der in Folge der Nizza-Beschlüsse eine Regierungskonferenz für 2004 forderte. Er ventilierte auch als erster die Idee von Übergangsfristen, bevor der Arbeitsmarkt für die neuen EU-Staaten vollständig geöffnet würde.
Parlamentarisierung der EU
Eine "Parlamentarisierung" der EU, wie sie nun Gerhard Schröder vorschwebt, hatte auch schon Joschka Fischer in seiner "persönlichen Zukunftsvision" vor einem Jahr laut angedacht. Nun ist der Gedanke im Entwurf zum Leitantrag für den SPD-Bundesparteitag im November enthalten. Nationale und europäische Abgeordnete sollen in die Ausarbeitung einer Verfassung einbezogen werden.
Eine "Staatenkammer" würde zusammen mit dem Europa-Parlament (EP) ein Zwei-Kammern-System schaffen, das dem deutschen System ähnelt. Um das Parlament zu stärken, solle es die Budgethoheit erhalten. Damit wäre das EP etwa auch für den Agrarhaushalt zuständig, der rund 46 Prozent des EU-Haushalts ausmacht. Damit könnten die Minister bei ihren Ratstreffen "nicht mehr machen, was sie wollen", quittierte etwa der kritische CDU-Europa-Abgeordnete Elmar Brok Schröders Vorschläge. Mit einer Staatenkammer könnten gerade in der EU-Agrarpolitik Lehren aus Fehlentwicklungen der Vergangenheit gezogen werden. Sei doch derzeit der Rat der EU-Agrarminister "Kontrolleur, Exekutive und Finanzier in einem". Ingo Friedrich, CSU-EU-Abg. und Vizepräsident des Europa-Parlaments, meinte hingegen: Die 500 Millionen Menschen, die nach der Osterweiterung in der Union leben würden, ließen sich nicht zentral regieren.
Vorerst zurückhaltend reagierten die EU-Partnerländer auf die deutschen Reformideen. In Großbritannien meinte ein Sprecher von Premierminister Tony Blair lediglich: "Dies ist der jüngste Beitrag zu einer wichtigen Debatte über die Reform der EU-Institutionen." Eine ähnlich vorsichtige Reaktion gab es aus dem französischen Außenministerium.
EU nicht über Institutionen stärken
Blair habe im vergangenen Oktober dafür plädiert, die Union so zu stärken, dass sie eine "Supermacht" werden könne; diese Stärkung der EU sei aber eher über die einzelnen Mitgliedstaaten als über übergeordnete EU-Institutionen anzustreben. Schröder "und seine Verbündeten in Europa und anderswo" seien "schlimm aus dem Takt geraten", kritisierten die oppositionellen Konservativen die Schröder-Pläne. Ähnlich skeptisch fielen die Reaktionen im Nachbarland Dänemark aus. Die deutschen EU-Reformvorschläge seien unrealistisch, bombastisch und bürokratisch. Österreichs Bundeskanzler Wolfgang Schüssel meinte: Zwar würden sich Teile des Schröder-Planes - etwa die Einrichtung einer Länderkammer - mit den österreichischen Vorstellungen decken. Ziel der Reform dürfe jedenfalls kein "europäischer Superstaat" sein. Schüssel kündigte für 30. Mai den Beginn einer breiten innerösterreichischen Debatte über die EU-Reform an.
Strukturförderung abschaffen?
Einigen Sprengstoff birgt der Vorschlag, die Strukturpolitik von der europäischen auf die nationale Ebene zu verlagern. Sollte der Vorschlag tatsächlich umgesetzt werden, wäre das zum Nachteil vor allem der südlichen EU-Mitgliedsländer sowie in der Folge der neuen östlichen Mitgliedstaaten. Derzeit profitieren Länder wie Spanien und Portugal am meisten von den EU-Strukturförderungen in Milliardenhöhe. Auch nach der Erweiterung müsse es entsprechende Föderungen der EU geben, so Elmar Brok, sonst könnten die ärmeren Länder Osteuropas nie an die Union herangeführt werden.