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Deutschland ist kein Einzelfall - Europas Regierungen in der Krise

Von Georg Friesenbichler

Analysen

Deutschland ist kein Einzelfall. Dort ist die schwarz-gelbe Koalitionsregierung wegen der Wahlniederlage von CDU und FDP in Baden- Württemberg in eine Krise gestürzt - nicht nur, aber vor allem ausgelöst durch die Atomkatastrophe in Japan. In Deutschland hatten sich am Samstag vor den Wahlen 250.000 Menschen auf die Straße begeben, um für den Atomausstieg zu demonstrieren. Aber auch in London versammelte sich eine Viertelmillion Menschen zum Protest - dort ging es gegen die Sparpolitik der konservativ-liberaldemokratischen Regierung.


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In Frankreich wiederum sucht Nicolas Sarkozy durch martialische Gesten aus dem Stimmungstief herauszukommen, in das ihn seine Pensionsreform und etliche Skandale gestürzt haben. Korruptionsfälle erschüttern auch die österreichische ÖVP, der es nicht gelingen will, von der mageren Vorstellung der SPÖ zu profitieren.

Die Krise der Regierenden in Europa hat vielfältige Ursachen, und sie trifft nicht nur die konservativen Parteien. Die linksregierten Länder im Süden Europas stöhnen unter den Lasten, die ihnen die sogenannten Rettungsmaßnahmen der EU aufbrummen. Massenhaft gehen in Griechenland, Portugal und Spanien die Bürger auf die Straße, um gegen die jeweiligen Sparpakete zu protestieren, in denen sie nur Maßnahmen zur Rettung der Banken erkennen können. In Irland stürzte eine konservative Regierung über ihre Sanierungsversprechen, in Portugal eine linke.

Ganz offensichtlich sehen viele Europäer ihren bescheidenen Wohlstand und ihre soziale Absicherung bedroht, Faktoren, die anders als in den USA zu den konstituierenden Bestandteilen des europäischen Selbstverständnisses zählen.

Deutschland könnte als Gegenbeispiel dienen. Abgesehen von Hartz-IV-Empfängern geht es den Deutschen gut, und gerade Baden-Württemberg zählt innerhalb des Staates zu den Bundesländern mit den besten Wirtschaftsdaten. Aber das allein macht nicht glücklich, wie das Wahlresultat zeigt.

Abgestraft wurden diesfalls das Vorgehen der Landesregierung beim Bahnhofsprojekt "Stuttgart 21" und jenes der Bundesregierung bei den Atomkraftwerken. In beiden Fällen geht es nicht um "Luxusprobleme" einer sonst sorgenfreien Bevölkerung, sondern es zeigt sich an ihnen dasselbe Phänomen wie in den Staaten mit wirtschaftlichen Sorgen: der grundlegende Verlust des Vertrauens in die Politiker.

Egal, ob es um Wohlstand, Gesundheit oder einzelne Bauvorhaben geht - die Entscheidungsträger sind weit von den Gedanken und Gefühlen jener entfernt, die die Folgen ihrer Entscheidungen zu tragen haben. Statt die Bedenken der Bürger zu hören, schielen sie auf die geheimnisvollen Märkte - und verbrüdern sich dabei zu ihrem persönlichen Vorteil allzu oft mit den mächtigen Konzernen statt mit den Menschen, von denen sie gewählt worden sind.