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Erste Wahl in Post-Merkel-Ära hat Kräfteverhältnisse verschoben - und wirft für Zukunft grundsätzliche Fragen auf.
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"Ich habe Merkel gewählt." Wer nach den vergangenen Bundestagswahlen 2013 und 2017 in Deutschland unterwegs war, bekam immer wieder diesen Satz zu hören. Doch ihre ganze Tragweite entfaltete diese Aussage erst im Jahr 2021, bei der ersten Wahl der Post-Merkel-Ära, die die Kräfteverhältnisse zwischen den Parteien kräftig verschoben hat. Für diese geht es nun nicht nur um Sondierungen und mögliche Koalitionen, sondern auch um grundsätzliche Fragen.
Das betrifft zunächst einmal CDU/CSU. Die Schwesternparteien haben offenbar massiv unterschätzt, wie viele ihrer Wähler in der Vergangenheit Merkel und nicht der Union ihre Stimme gaben, wovon der Absturz auf den zweiten Platz hinter die SPD zeugt. Damit ist vor allem die CDU in ihrem Selbstverständnis schwer erschüttert worden: Nicht nur sieht sich die Partei von Konrad Adenauer und Helmut Kohl zum Regieren berufen, sie hat sich in den in den 16 Jahren Merkelscher Kanzlerschaft auch daran gewöhnt, über entscheidende Ministerien samt dazugehörigem Beamtenapparat und so über große Machtfülle zu verfügen.
Sich davon zu verabschieden, fällt schwer, wie das Ansinnen des gescheiterten Kanzlerkandidaten Armin Laschet zeigt. Er will noch immer eine Jamaika-Koalition mit Grünen und FDP bilden. Wobei das auch für ihn persönlich die einzige politische Überlebenschance darstellt.
Für die CSU kommt erst die "Mutter aller Schlachten"
Doch der Rheinländer hat dabei mit Quertreibern innerhalb seiner Parteienfamilie zu kämpfen, und der größte sitzt in München: CSU-Chef Markus Söder. Er will zwar Jamaika nicht ganz ausschließen. Doch bekundete Bayerns Ministerpräsident auch, dass sich aus dem Wahlergebnis "wirklich kein Regierungsauftrag moralisch legitimieren" lasse.
Der CSU nämlich bleibt, sollte sie in Deutschland in die Opposition müssen, noch immer Bayern zum Regieren. Doch auch hier war der Zuspruch schon einmal größer als die bei der Bundestagswahl errungenen 31,7 Prozent der Stimmen. Das lässt die Alarmglocken schrillen: Denn nur ihre starke Position in Bayern legitimiert den großen Einfluss der CSU innerhalb der Union. Die "Mutter aller Schlachten", wie sie selbst gerne sagt, ist für die CSU daher die bayrische Landtagswahl, die wieder im übernächsten Jahr ansteht. Offenbar rechnet sich Söder bessere Chancen aus, wenn er in Opposition zu einer von der SPD geführten Bundesregierung geht.
Ganz grundsätzlich muss sich die Union aber fragen, wofür sie steht. Der Merkel’sche Pragmatismus ist zur Beliebigkeit verschwommen. Friedrich Merz, die Galionsfigur des konservativen Flügels, richtete seiner Partei am Freitag bereits aus, sie sei "denkfaul" geworden. Er und seine Gefolgsleute, etwa aus der Werteunion, wollen nach den Merkel-Jahren, die gerne als Sozialdemokratisierung der Union beschrieben werden, die Partei wieder weiter nach rechts schieben. Ihre liberalen Gegenspieler können aber argumentieren, dass sich so die rund 1,4 Millionen Wählerstimmen, die man laut Nachwahlanalysen an die SPD verloren hat, nur schwer zurückgewinnen lassen.
Scholz will nun seine Machtposition nutzen
Denn viele Merkel-Wähler sahen offenbar in Olaf Scholz den besseren Merkel-Nachfolger. Der Sieg der Sozialdemokraten war vor allem einer ihres Kanzlerkandidaten. Laut einer Umfrage der "Forschungsgruppe Wahlen" sahen 67 Prozent der Deutschen Scholz als geeignet für die Kanzlerschaft an, bei Laschet waren es nur 29 Prozent (was ein unterirdischer Wert für den Kandidaten einer Regierungspartei ist). Laut einer weiteren Befragung von Infratest-Dimap hätten rund die Hälfte der SPD-Wähler (25,7 Prozent waren es schließlich) ihr Kreuz nicht bei dieser Partei gemacht, wenn der Spitzenkandidat nicht Scholz geheißen hätte.
Für den nüchternen Hamburger hat sich damit seine Beharrlichkeit ausgezahlt - galt er doch selbst in seiner eigene Partei, vor allem bei den Parteilinken, als Auslaufmodell. Nun will der machtbewusste Wahlsieger die Gelegenheit nutzen. In einem Interview mit dem Magazin "Spiegel" machte er noch einmal deutlich, dass er sich als nächster Kanzler sieht. Und zwar in einem Bündnis mit den Grünen und der FDP. "Ich bin optimistisch, dass eine Ampelkoalition gelingen kann", sagte der 63-Jährige. Ziel einer solchen Koalition müsse es sein, bei der nächsten Wahl wiedergewählt zu werden.
Das ist eine durchaus bemerkenswerte Aussage: Denn damit steuert Scholz gegen die Richtung der Parteilinken und will die SPD über diese Legislaturperiode hinaus in der Mitte verankern. So hat die Parteivorsitzende Saskia Esken immer wieder eine "progressive Koalition" aus SPD, Grünen und Linken beworben. Dass diese wegen des Absturzes der Linken, die nur aufgrund dreier Direktmandate im Bundestag sind, nach dieser Wahl schon allein rechnerisch nicht möglich ist, heißt nicht, dass sie als langfristiges Ziel verschwunden ist.
Generell hat Scholz nun massiv an Autorität in der Partei gewonnen. Gleichzeitig ist aber die künftige, junge SPD-Fraktion im Bundestag - rund die Hälfte ist jünger als 40 Jahre - linker als der derzeitige Finanzminister. Unmittelbar aber wird die SPD wie schon im Wahlkampf eine Einheit bleiben, haben doch alle das große Ziel Kanzlerschaft vor Augen.
Mehr öffentliche Zustimmung für Ampel-Koalition
Doch dafür braucht es noch Grüne und FDP. Beide Parteien wollen regieren. Dafür führen sie auch schon Vorsondierungen, die Parteispitzen haben sich am Freitag erneut getroffen. FDP-Chef Christian Lindner sprach danach von einem "neuen Aufbruch" und die Vorsitzende der Grünen, Annalena Baerbock, gar von einem "historischen Moment". Inhaltlich wurden sie aber nicht konkret. Am Wochenende werden beide Parteien ihre ersten Gespräche mit Union und SPD führen.
Die innenpolitische Dynamik und die öffentliche Zustimmung gehen jedenfalls klar in Richtung Ampel - laut einer aktuellen Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen fänden 59 Prozent der Bevölkerung ein derartiges von der SPD angeführtes Bündnis gut, während die Jamaika-Koalition nur auf 24 Prozent kommt.
Näher an der SPD stehen sicher die Grünen als die FDP. Auch wenn es beim grünen Kernthema Klimawandel Differenzen gibt - die SPD will mit Blick auf ihre Wähler nicht so einen schnellen Kohleausstieg -, haben SPD und Grüne ein ähnliches Staatsverständnis. Der Staat soll demnach lenkend eingreifen und auch über Steuern für einen Ausgleich zwischen Reicheren und Ärmeren sorgen.
Ganz anders die FDP: Sie will einen schlanken Staat, der die Wirtschaft machen lässt und möglichst wenig Steuern verlangt. Ob und wie die FDP in ein Bündnis mit SPD und Grünen eingebunden werden kann, ohne ihre Grundsätze zu verlieren, wird eine der spannendsten Fragen der nächsten Tage sein.