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Deutschland spinnt

Von Reinhard Göweil

Leitartikel
Chefredakteur Reinhard Göweil.

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Der nun zurückgetretene Jürgen Stark ist in Österreich so gut wie unbekannt. Das ändert nichts an der Tatsache, dass der Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank zu den mächtigsten Funktionären Europas zählte. Immerhin fiel der Euro nach seinem Rücktritt um 1,3 Prozent - das ist in diesem Universum eine Supernova.

Nun wird spekuliert, dass Stark zurückgetreten ist, weil er nicht länger damit einverstanden war, dass die EZB Staatsanleihen hochverschuldeter Staaten kaufte. Sollte dies stimmen, muss leider gesagt werden, dass Stark von Beginn an eine Fehlbesetzung war. In so einer Position wirft man in einer Krise nicht das Handtuch. Allein die Wechselkurs-Veränderung am Freitag hat völlig Unbeteiligte Milliarden gekostet. So etwas tut man nicht.

Wenn Stark dagegen zurücktritt, weil er tatsächlich triftige persönliche Gründe hat, dann müsste dies offen kommuniziert werden. Das mag ins Persönliche gehen, aber in dieser Position gibt es nichts Persönliches mehr. Die Wiener ÖVP-Chefin Marek ist zufällig am selben Tag zurückgetreten, bei ihr war alles klar: Die eigenen Leute haben sie abgelehnt, es gab ein finanziell adäquates Abgeordnetenmandat im Nationalrat zu erben - für Marek eine klare Entscheidung.

Vielleicht geht Stark auch nicht wegen unterschiedlicher Auffassungen in der EZB, sondern weil er in die deutsche Innenpolitik zurückkehrt. Wenn dies der Fall sein sollte, dann hat Deutschland Europa einen Bärendienst erwiesen. Wenn Stark in ein paar Wochen in anderer Position wieder auftaucht, hat Deutschland nämlich aus nationalem Egoismus wissentlich eine Euro-Schwächung in Kauf genommen. In der jetzigen Situation wäre dies ein Wahnsinn.

Und wenn Stark tatsächlich private Gründe für seinen Rücktritt hat, dann müsste er sie auch sagen. Denn aktuell bleibt übrig, dass die Europäische Zentralbank die schwachbrüstigen Schmarotzerländer unterstützt und darüber den Stabilitätsgedanken des Euro opfert.

Nun hat Europa nicht mehr viele Institutionen, auf die es bauen kann. Die Europäische Zentralbank ist eine davon. Der 9. September hat sie aber geschwächt. Der Grund dafür war - nach der Berliner Wackelpartie rund um die Euro-Stabilisierung zuvor - erneut ein Deutscher. Das größte Land der Europäischen Union muss sich fragen lassen, ob es weiß was es tut - oder ob es spinnt.