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Deutschland und Frankreich verschärfen Maßnahmen

Politik
Maskenpflicht besteht nun in öffentlichen Gebäuden in den Niederlanden, so auch im Amsterdamer Street Art Museum.
© reuters/Piroschka

In Österreich werden schärfere Corona-Maßnahmen diskutiert, andere Länder haben die Zügel im Kampf gegen den Lockdown bereits wieder angezogen.


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Die Zahl der Covid-Neuinfektionen steigt in fast ganz Europa rasant an, auch in Österreich: Mit 1346 Fällen innerhalb von 24 Stunden ist hier am Mittwoch ein neuer Höchstwert erreicht worden. Am stärksten betroffen ist Wien mit 402 Fällen, gefolgt von Oberösterreich mit 234 Fällen. Dass es demnächst zu einer Verschärfung der geltenden Maßnahmen kommen wird, steht außer Zweifel. Unklar ist, wie die Neuregelungen in Österreich aussehen werden. Hier wird derzeit innerhalb der Bundesregierung heftig debattiert. Die Rede ist von einem "weichen" Lockdown im November, wobei Schulen und Kindergärten geöffnet bleiben. Ein "harter" Lockdown, wie er zuletzt im März verhängt wurde, ist laut Corona-Maßnahmengesetz vom Oktober 2020 nur in Notfallsituationen erlaubt.

In Frankreich wurde nach erneut mehr als 22.000 Neuinfektionen an einem Tag und 104 an und mit Covid-19 Gestorbenen der Gesundheitsnotstand ausgerufen. Ab Samstag wird gibt es in einigen Großstädten nächtliche Ausgangssperren für vier Wochen. "Die Situation ist besorgniserregend", sagte Macron im französischen Fernsehen am Mittwochabend. "Wir haben aber nicht die Kontrolle verloren", so Präsident ein. Einen nationalen Lockdown schloss Macron zwar aus, dieser sei nicht verhältnismäßig, doch in Städten wie Paris, Marseille, Toulouse, Lyon, Lille und Montpellier werde es zwischen 21 und 6 Uhr Ausgangssperren geben. Wer dagegen verstoße, müsse mit Strafen von 135 Euro rechnen. Nur mit guten Gründen dürfe man in dieser Zeit außer Haus, nicht aber für den Besuch von Freunden oder Restaurants, so Macron.

Auch in Deutschland geht es um viel. Das zeigt sich bereits daran, dass Kanzlerin Angela Merkel und die 16 Ministerpräsidenten am Mittwoch erstmals seit Juni persönlich zusammentrafen, anstatt per Videokonferenz Maßnahmen gegen die Pandemie zu besprechen. Beschlossen wurden unter anderem eine Ausweitung der Maskenpflicht, eine Begrenzung der Gästezahl bei privaten Feiern, Kontaktbeschränkungen im öffentlichen Raum und eine Sperrstunde für die Gastronomie. Merkel war mit den Beschlüssen jedoch unzufrieden und kritisierte sie massiv. "Die Ansagen von uns sind nicht hart genug, um das Unheil von uns abzuwenden", sagte die CDU-Politikerin nach übereinstimmenden Angaben von Teilnehmern am Mittwochabend während der Sitzung. Die Corona-Fälle waren davor binnen eines Tages um mehrals 1000 Fälle auf 5100 gestiegen. Das ist im Vergleich mit anderen Ländern wenig, auch die Zahl der Infizierten pro 100.000 Einwohnern liegt im unteren Drittel Europas. Die rasante Steigerung der Neuinfektion besorgt aber.

Lokale dicht, kein Alkoholkauf ab 20 Uhr

Merkel und die Ministerpräsidenten mussten einen Balanceakt zwischen möglichst einfach zu kommunizierenden Regeln schaffen und dabei das völlig unterschiedliche Infektionsgeschehen in den einzelnen Regionen im Auge behalten. Besonders umstritten war zuletzt das sogenannte "Beherbergungsverbot": Personen in deutschen Regionen mit vielen Fällen mussten in Urlaubsorten mehrerer Bundesländer einen negativen Corona-Test vorlegen.

Deutschlands Nachbar Niederlande fährt das öffentliche Leben bereits teilweise herunter. Ab Mittwoch um 22 Uhr sind Restaurants und Cafés geschlossen, Zustelldienste dürfen jedoch weiter tätig sein. Damit sich das Party-Geschehen nicht in die Innenräume verlagert, ist der Alkoholverkauf täglich ab acht Uhr abends verboten, ebenso wie der Konsum auf öffentlichen Plätzen. Mit diesen vorerst auf zwei Wochen befristeten Maßnahmen gehen auch Kontaktbeschränkungen einher, Personen dürfen daheim nur noch von maximal drei Erwachsenen täglich besucht werden.

"Seien Sie realistische Niederländer und übernehmen Sie Verantwortung", appelliert Premier Mark Rutte an seine Landsleute. Denn die Zahl der positiv auf Covid-19 Getesteten sind drastisch gestiegen, am Dienstag wurden erstmals mehr als 7000 Neuinfektionen pro Tag gemeldet. Am stärksten betroffen sind die Metropolen Amsterdam und Rotterdam. Zur Eindämmung setzt der Premier nun auch auf Maskenpflicht in Geschäften und sämtlichen anderen öffentlichen Innenräumen. Bisher galt dafür lediglich die dringende Empfehlung.

Maskenpflicht herrscht bis heute nicht in Schweden. Überhaupt haben sich die Maßnahmen seit Beginn der Pandemie kaum verändert: Kindergärten und Schulen bis zur achten Schulstufe sind stets offen geblieben, ebenso die Restaurants. Menschenansammlungen wurden auf maximal 50 Personen limitiert. Das gilt bis heute - während in Ländern mit strengen Lockdowns im Frühling zwischenzeitlich Tausende in Fußballstadien eingelassen wurden. Das Ende des Besuchsverbots in Altersheimen wurde Anfang Oktober wieder gelockert, musste aber nach Anstieg der dortigen Corona-Fälle teilweise zurückgenommen werden.

Der Pflegesektor bleibt der wunde Punkt in Schwedens Corona-Sonderweg, der auf die solidarische Eigenverantwortung der Bürger setzt. Von den knapp 6000 mit dem Virus Verstorbenen waren rund 5.200 Personen 70 Jahre oder älter. Oftmals schlecht bezahlte Pflegekräfte, die sich kein Daheimbleiben leisten können, schleppten das Virus ein. Dieses Problem wurde angegangen. Nicht nur ist die Zahl der Corona-Toten drastisch gesunken, auch im Vergleich der Neuinfektion pro 100.000 Einwohner in den vergangenen zwei Wochen liegt Schweden mit 72,5 Fällen deutlich besser als viele europäische Länder, auch als Österreich. Sollte sich die Lage wieder drastisch verschlechtern, schließt aber auch Schweden Maskenpflicht und Lockdowns nicht aus.

Italien hat im Frühjahr ein nationales Trauma erlebt, als das Spitalswesen kollabiert ist. Entsprechend rigoros reagiert die Politik jetzt auf den empfindlichen Anstieg der Infektionen. Derzeit gibt es laut EU-Statistik wieder 79,9 Fälle pro 100.000 Einwohner. Premier Giuseppe Conte sieht sofortigen Handlungsbedarf, in den nächsten Tagen tritt ein umfassender Maßnahmenkatalog in Kraft. So werden Partys in Restaurants, Clubs und unter freiem Himmel verboten. Kontaktsportarten wie Fußball sind auf Amateur-Ebene verboten, in und vor Restaurants und Bars dürfen nach 21 Uhr bis Mitternacht nur noch Gäste bedient werden, die an Tischen sitzen. Schulen bleiben zwar offen, Ausflüge und Schüleraustausche sind aber verboten. Ferner rät die Regierung dringend von Privatpartys ab, sie empfiehlt das Tragen von Schutzmasken auch im eigenen Zuhause, wenn Gäste anwesend sind.

Mundschutzpflichtauch im Freien

Hart von der Pandemie getroffen wurde auch Großbritannien. Derzeit gibt es 268,1 Infektionen pro 100.000 Einwohner. In Liverpool sind es gar 600 Neuinfektionen auf 100.000 Menschen, das Gesundheitssystem hat hier bereits seine Belastungsgrenze erreicht. Premier Boris Johnson will trotzdem einen landesweiten Lockdown verhindern. Die oppositionelle Labour-Partei hingegen fordert ein zwei-bis dreiwöchiges Herunterfahren des Landes: Die Regierung habe die Kontrolle über das Geschehen verloren, so der populäre Oppositionsführer Keir Starmer.

Tschechien ist Spitzenreiter in einer Statistik, in der das Land sicher lieber nicht so weite vorne stehen würde. In keinem Land der Europäischen Union gibt es derzeit so viele Neuinfektionen je 100.000 Einwohner, es waren zuletzt im Zwei-Wochen-Schnitt 581. Und ging es über den Sommer in kaum einem Land so locker zu, was Vorschriften für das Tragen von Mundschutz oder Konzerte und Partys betraf, greift die Regierung nun zu drastischen Maßnahmen. Restaurants, Bars und Clubs müssen geschlossen bleiben, Sportveranstaltungen sind diese und nächste Woche abgesagt, Versammlungen und Treffen mit mehr als sechs Menschen werden untersagt. Auch der Mundschutz muss in öffentlichen Räumen wieder getragen werden.

Im Nachbarland Slowakei muss der Mundschutz nun sogar im Freien aufgesetzt werden. Man ziehe die Notbremse, sagte Regierungschef Igor Matovic. Und tatsächlich sind auch in der Slowakei die Infektionszahlen zuletzt stark gestiegen, aktuell liegt das Land bei 202 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner. Deshalb hat die Regierung auch weitere Maßnahmen beschlossen. So müssen zum Beispiel alle Schulen für Schüler ab der zehnten Schulstufe auf Online- statt Präsenzunterricht umsteigen. Restaurants dürfen nur noch Speisen zum Mitnehmen verkaufen, Fitnessstudios und Schwimmbäder werden geschlossen. Und jedes Zusammentreffen von mehr als sechs Personen, die nicht in einem gemeinsamen Haushalt leben, ist verboten.

Noch weiter östlich, in Russland, wurden zuletzt gar 894,3 Infektionen pro 100.000 Einwohner verzeichnet. Impfung hin oder her: Mit 1.326.178 Infektionen hat das 145-Millionen-Einwohnerland die vierthöchste Zahl der Infektionen weltweit - nach USA, Indien und Brasilien.

Im Süden Europas stellt sich die Lage teils dramatisch dar. Spanien liegt in absoluten Zahlen von bestätigten Corona-Fällen an der EU-Spitze. Im knapp 47-Millionen-Einwohner-Land sind oder waren 896.086 Personen mit dem Virus infiziert, mindestens 33.204 Menschen sind an Covid gestorben. Allerdings mutmaßen die Statistiker, es könnten noch viel mehr sein. Denn es sind seit März um 50.000 Menschen mehr gestorben als in den Jahren davor. Das sind 27 Prozent Übersterblichkeit, die noch nicht erklärt worden sind.

Offizielle Zahlenwurden frisiert

Zwischen dem 14. März und dem 21. Juni war praktisch ganz Spanien im Lockdown, um der Krise Herr zu werden. Im Sommer atmete das Land durch - aber es war auch hier zu früh. Derzeit gibt es laut EU-Statistik wieder 293,8 Fälle pro 100 000 Einwohnern. Daher gelten nun landesweit strenge Maßnahmen, darunter Maskenpflicht im Freien. Viele Gebiete und Gemeinden sind abgeriegelt.

Über die Hauptstadt verhängte die spanische Regierung den Notstand. In Madrid und einigen Vororten dürfen Menschen ihre Wohngemeinde nur mit triftigem Grund verlassen - etwa für den Weg zur Arbeit oder zum Arzt. Betroffen sind knapp 4,8 Millionen. Der Notstand soll zwei Wochen gelten. Für die autonome Gemeinde Madrid, in der auch die Hauptstadt liegt, deckte die Nachrichtenseite elDiario.es zuletzt eine bedenkliche Posse auf: Die offiziellen Zahlen, die von der konservativen Regionalpräsidentin (die sich gegen den Lockdown stark gemacht hat) verkündet werden, wurden systematisch später deutlich erhöht. Am 24. September verkündete man 828 Fälle - um sie später in der Tabelle auf 4.276 - fünfmal so viel - fernab der Öffentlichkeit zu "korrigieren".(da/klh/schmoe/wak)