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Deutschlands bemerkenswerte Taktik Die nächsten EU-Reformen warten

Von Wolfgang Tucek

Analysen

Mit der Grundsatzentscheidung zur Reform der EU ist der deutschen Bundeskanzlerin und scheidenden Vorsitzenden der Union, Angela Merkel, ein wichtiger Schritt gelungen. Die EU, seit dem Vertrag von Nizza um zwölf Mitgliedsstaaten erweitert, bekommt die dringend notwendige Vertiefung. Der nächste Reformschritt steht aber schon auf der Tagesordnung.


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De facto haben die Deutschen inhaltlich alle wichtigen Punkte des Verfassungsvertrags hinübergerettet, lediglich die Form des neuen Reformvertrags und dessen Aufmachung sind deutlich unaufgeregter: Alle Auswirkungen sind noch nicht völlig klar. Daher ist auch die Frage, ob außer in Irland tatsächlich keine Referenden mehr notwendig sind, noch nicht völlig geklärt. Die Opposition in Großbritannien und den Niederlanden bezweifelt das bereits lautstark. Und den Bürgern den Reformvertrag genau zu erläutern, dürfte wahrlich sehr schwierig sein.

Denn die deutsche Strategie, die Arbeiten der im Juli startenden Regierungskonferenz weitgehend vorwegzunehmen, war bemerkenswert. Schon in dem Auftrag, den selbst hartgesottene EU-Juristen unübersichtlich fanden, sind fast alle Entscheidungen der Reform detailliert vorweg genommen. Von Verweisen auf den gescheiterten Verfassungsvertrag und die bisherigen Verträge der EU und ausführlichen Fußnoten strotzt er nur so. Eine davon ist fast eine volle A4-Seite lang und regelt den genauen Geltungsbereich der Grundrechtecharta - und warum sich trotz deren Rechtsverbindlichkeit in Großbritannien nichts ändert.

Das sei schon ein Geniestreich, findet ein Diplomat. Nur zwei Tage vor dem Gipfel ein derart komplexes Dokument vorzulegen, in dem dann bis zum Abschluss nur noch die allerwichtigsten Streitpunkte geändert werden konnten. Die meiste Arbeit werden wohl die Rechtsexperten der EU-Länder haben, die die Verträge jetzt in nächtelanger Kleinarbeit abgleichen müssen. Erst auf der Regierungskonferenz werden vermutlich die meisten Mitgliedsstaaten die ganze Tragweite des von den Staats- und Regierungschefs beschlossenen Papiers erfasst haben.

Nur so hat es Merkel geschafft, dass es wie bei EU-Kompromissen üblich in den Grundzügen keine wirklichen Verlierer gegeben hat. Eine tatsächliche Neuverhandlung wäre aussichtslos gewesen.

Die Union der 27 kann - spätestens ab 2017 - einfacher Entscheidungen treffen, die Kommission kann wieder effizienter arbeiten und muss keine Orchideen-Ressorts wie jenes des Mehrsprachigkeitskommissars erfinden. Gleichzeitig gibt es wieder Spielraum für weitere Beitritte. Mit sich selbst beschäftigen wird sich die EU jedoch weiterhin müssen: Auch wenn der Beschluss des Reformvertrags bis Ende des Jahres gelingt, steht ab 2008 die grundsätzliche Überarbeitung der EU-Budgetstrukturen an.