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Der Vorhang senkt sich gnädig über das politische Sommertheater in Deutschland. Das Stück hieß: "Götterdämmerung der Großen Koalition". Nach den hohen Erwartungen an das Duo Merkel-Müntefering und einen neuen, pragmatisch-unaufgeregten Polit-Stil wurde die Regierung in Grund und Boden geschrieben - Blattschuss bei Blattschluss.
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Die sauren Gurken lieferte in diesem Sommer die CDU selbst. Sie schenkte ihrem Parteivolk den Entwurf eines neuen Grundsatzprogramms und den Redaktionsstuben einen saftigen Richtungsstreit: Merkel-Vize Jürgen Rüttgers zieh die Union der "Lebenslüge", wonach Steuersenkungen automatisch mehr Arbeitsplätze brächten - Futter für die Loge, aber auch Öl ins eher lustlos flackernde Feuer der Grundsatzdebatte.
Der deutsche Michel hat es halt lieber warm. Unter der Decke seiner Besitzstände brummelt er zwar von Reformen, aber im Zweifel greift er lieber zu Transferzahlungen, die andere erwirtschaften. Die neoliberale Agenda 2010 hatte Schröder vom Sockel gefegt.
Merkel lobt ihren Amtsvorgänger hingegen genau wegen dessen Agenda. Rüttgers wieder übernimmt die Rolle des Herz-Jesu-Marxisten, die seit Norbert Blüms und Heiner Geißlers Abgang verwaist ist. Ist Rüttgers das soziale Gewissen der Union? Oder will er nun an Merkels Sockel rütteln? Braucht Deutschland einen Richtungsstreit oder mehr Pragmatismus? Das ist auch des Umfrage-Pudels Kern: Der Karren beginnt zu rollen, nur weiß noch keiner, wohin.
Die Lage ist kurios, wenn man die Wahlversprechen hervorkramt: Die Union wollte zwei, die SPD null Prozent Mehrwertsteuer-Erhöhung. Herausgekommen sind drei. Rot und Schwarz wollten die Lohnnebenkosten senken - zumindest die Kassenbeiträge steigen. Das schafft Verwirrung. Wo ist Luv, wo ist Lee? Die Taktik des Aussitzens, gelernt beim Ziehvater und Ex-Kanzler Helmut Kohl, bekommt der neuen Kanzlerin noch nicht so gut.
Aber auch das kakophone Wolfsgeheul der Kritiker und das Gerede von der Unfähigkeit zu Reformen stimmt nicht mit der wirklichen Lage überein. Gewiss, Diktaturen sind schneller, Demokratie braucht Geduld - und Geduld ist nicht die Sache der Medien. Die Rufe nach "Machtworten", "Führung" oder wie immer diese Vokabel heißen mögen, sie passen weder zur Großen Koalition noch zum persönlichen Polit-Stil Angela Merkels, den sie so umschreibt: "Nachdenken, Beraten, Entscheiden".
Vermutlich ist sie damit sogar moderner als ihre vielfach ideologisch verhafteten Kritiker. Die Lage Deutschlands ist jedenfalls besser als die Stimmung: Die Maastricht-Kriterien sind erfüllt; auf dem Arbeitsmarkt gibt es eine Trendwende; die Konjunktur zieht an; die Arbeitsagentur hat neun Milliarden Euro Überschuß; das transatlantische Bündnis ist entkrampft. Derzeit ist der Applaus noch ein enden wollender. Aber der zweite Akt hat erst begonnen - und die Demoskopie-Werte steigen wieder.