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Euro-Rettungspaket in CDU und FDP umstritten.
| Präsident Wulff kritisiert EZB.
| Ex-Kanzler Kohl geht hart mit Merkel ins Gericht.
| EU- und Nato-Partner irritiert.
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Berlin/Wien. Die politische Krise der EU geht Hand in Hand mit dem Regierungskurs im größten EU-Land Deutschland. Die Regierung in Berlin irritiert nämlich zunehmend ihre Partner. Dass nun der aus der CDU kommende, bisher eher zurückhaltende deutsche Präsident, Christian Wulff, Merkels Euro-Rettungskurs und die Europäische Zentralbank scharf kritisiert, hat in Paris, aber auch in Rom und Madrid für Befremden gesorgt. "Wir fragen uns, was die Beschlüsse auf europäischer Ebene wert sind, wenn die deutsche Kanzlerin sie in der eigenen Partei nur schwer durchbringt", ist aus dem Elysée-Palast inoffiziell zu hören.
Paris ist doppelt irritiert, denn die berühmte deutsch-französische Achse ist nach wie vor die Triebfeder Europas. "Merkel und Sarkozy sind halt leider nicht Mitterrand und Kohl", heißt es bei der EU-freundlichen Industriellenvereinigung seit Längerem - ein Satz, der in den europäischen Hauptstädten häufig zu hören ist.
Für Sarkozy sind die Schwierigkeiten der deutschen Kanzlerin auch innenpolitisch gefährlich. Frankreich allein ist zu schwach, um Lokomotive in Europa zu spielen. Und Berlin bietet ein zersplittertes Bild, was die Umsetzung des EU-Gipfelbeschlusses vom Juli über das zweite Rettungspaket für Griechenland betrifft.
Die Arbeitsministerin in der Regierung, Ursula von der Leyen, gab in der ersten Sitzung der CDU-Fraktion nach der Sommerpause dem Euro-Protest ein Gesicht. Sie forderte von den Schuldnerländern zusätzliche Garantien für die Rettung. Goldreserven oder Staatseigentum kommen dafür in Frage. Unterstützt wurde die Ministerin vom stellvertretenden Fraktionsobmann Wolfgang Bosbach.
Der Unmut der Wähler
"Ich rate, diesen Weg nicht zu beschreiten", so die Antwort Merkels darauf. CDU-Fraktionsobmann Kauder versuchte zu beschwichtigen, indem er nach der Sitzung erklärte: "Ich sehe, dass wir die notwendige Mehrheit erreichen können." Allerdings fehlten bei der Sitzung 70 der 237 CDU-Abgeordneten. Viele Abgeordnete verspürten im Sommer den Unmut ihrer Wähler, deutsches Steuergeld in andere EU-Länder zu tragen. Immerhin haftet Deutschland im neuen Rettungsschirm mit maximal 123 Milliarden Euro.
Dazu kommt, dass der Koalitionspartner der Union, die FDP, mit dem Euro-Rettungsschirm wenig Freude hat. So will die FDP im Deutschen Bundestag dem Paket nur zustimmen, wenn es eine EU-weit verbindliche Schulden-Obergrenze gibt. "Länder, die die Spielregeln nicht einhalten, müssen automatisch einen Teil ihrer Souveränität an europäische Institutionen abgeben", sagte Rainer Brüderle, Fraktionschef der Freidemokraten. Die halten Ende August eine Klausur ab, bei der es wohl heftige Schelte für Merkel geben wird. Am 23. September will der Bundestag in Berlin über die Änderungen am Euro-Rettungsschirm abstimmen. Merkel könnte im Ernstfall sogar auf Stimmen von SPD und Grünen angewiesen sein, die sich klar pro-europäisch aussprachen. Ihren eigenen Leuten gab die Kanzlerin nach, indem sie einer gemeinsamen Schuldenfinanzierung der Euro-Länder, sogenannten Eurobonds, eine Absage erteilte. Die FDP lehnt dies strikt ab. Frankreich steht diesen Plänen nicht so ablehnend gegenüber - und beobachtet das politische Tauziehen innerhalb der deutschen Koalition mit Argusaugen. Sarkozy ist beim jüngsten Treffen Merkel dabei entgegen gekommen.
Die Kritik von Präsident Wulff wird von der deutschen Opposition, der SPD und den Grünen, als "Palastrevolte" gegen Merkel gewertet. Am 7. September entscheidet der Verfassungsgerichtshof in Karlsruhe, ob die EU-Beschlüsse dem deutschen Grundgesetz entsprechen. Wulff, dessen einzige Aufgabe als Präsident es ist, dieses Grundgesetz zu schützen, sagt ziemlich unverblümt schon vor dem Richterspruch: nein.
Und als ob das nicht genug wäre, erntet Deutschland auch beim Thema Libyen Kopfschütteln. Außenminister Guido Westerwelle, der abgesetzte Chef der FDP, lobte in den vergangenen Tagen das Engagement Deutschlands bei der Beseitigung des Gaddafi-Regimes. Nun hat allerdings Deutschland im UN-Sicherheitsrat der militärischen Intervention gegen Libyen die Zustimmung versagt. "Westerwelles peinliche Libyen-Show", schreiben deutsche Online-Zeitungen. "Die Zeit" monierte überhaupt, dass Deutschland derzeit keinen Außenminister habe. Und SPD-Fraktionsvize Gernot Erler stellte fest, dass Westerwelle Deutschlands Ansehen in der Welt gefährde.
Die Regierungen in Paris und London halten sich mit offiziellen Statements zurück. Hinter vorgehaltener Hand erklären Diplomaten aber, dass sie Deutschland nicht verstehen würden. Wobei weniger die Weigerung am Nato-Einsatz teilzunehmen für Verstimmung sorgte als vielmehr die Weigerung, dem UN-Mandat zuzustimmen. Und der jetzige Versuch Westerwelles, das bevorstehende Ende Gaddafis als deutschen Erfolg zu verbuchen.
Retten, was zu retten ist
Französische Diplomaten registrieren mit Erstaunen, dass Merkel ihren Außenminister schalten und walten lässt. In Wahrheit - so Wirtschaftsexperten - versucht Westerwelle bloß, für die deutsche Industrie zu retten, was zu retten ist. Frankreich und Großbritannien haben den Großteil der Einsätze gegen Gaddafis Armee geflogen. Sarkozy war die treibende Kraft hinter der Intervention.
Mit dem Erfolg der Rebellen darf die französische Industrie nun hoffen, an die lukrativen Aufträge zum Wiederaufbau des Landes zu kommen. Bouguyes, Peugeot, Alcatel, Carrefour und BNP Paribas statt Hochtief, VW, Siemens, Metro und Deutsche Bank könnte man verkürzt sagen.
In deutschen Industriekreisen, eigentlich verlässliche Unterstützer der CDU/FDP-Koalition, ist die Verstimmung groß. Am Rande der Salzburger Festspiele sagte einer der Bosse, dass die deutsche Regierung einen schweren politischen Fehler gemacht habe. Auch die britischen Konzerne wie BP werden wohl den Dank für die Unterstützung ernten, Deutschlands Konzerne werden sich vom libyschen Übergangsrat die Stimmenthaltung Deutschlands vor der UNO vorhalten lassen müssen.
Und es geht um sehr viel Geld. Die Devisenreserven des ölreichsten Landes Afrikas werden vom Internationalen Währungsfonds mit 150 Milliarden Dollar festgemacht. Dazu kommen zweistellige Milliardenbeträge an Gaddafi-Vermögen, die von westlichen Banken eingefroren wurden und nun freigegeben werden.
Für die erfolgsverwöhnte deutsche Exportwirtschaft sind dies keine guten Neuigkeiten. Denn der deutsche Exportmotor zieht im Moment Europa, zu einem guten Teil auch Österreich. Deutschland ist für mehr als 27 Prozent der Exporte außerhalb Europas zuständig, innerhalb der EU hält Deutschland einen "Marktanteil" von 20 Prozent. In etwa mit diesem Betrag finanziert Deutschland auch das EU-Budget, das sind 25 Milliarden Euro. Damit gelten die Deutschen als "Zahlmeister" Europas. Ein großer Teil fließt allerdings in Form von Förderungen, Stützungen und Investitionshilfen zurück, netto bleibt Deutschland mit sechs Milliarden Euro trotzdem "Nummer eins" als EU-Zahler.
Löhne kaum gestiegen
Innerhalb der EU sind aber die großen Länder Frankreich, Italien und Spanien die bedeutendsten Abnehmer deutscher Produkte. Die deutsche Wirtschaft hat demnach jedes Interesse, den Euro als Währung stabil zu halten und diese Länder nicht ins Gerede kommen lassen.
Allerdings üben Wirtschaftsexperten auch Kritik. Deutschlands Löhne sind in den vergangenen Jahren kaum gestiegen, die Produktivität dagegen schon. Deutschlands Betriebe wurden so noch wettbewerbsfähiger, der Inlandskonsum allerdings schwächelte. Konservativere Experten dagegen raten, diesen Wettbewerb zuzulassen, die anderen EU-Länder müssten dies halt auch machen.
Nicht so allerdings Merkels Mentor, Ex-Kanzler Helmut Kohl. "Deutschland ist schon seit einigen Jahren keine berechenbare Größe mehr - weder nach innen noch nach außen", beklagte Kohl in der Zeitschrift "Internationale Politik". "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht alles verspielen", sagte er und beklagte die "Mutlosigkeit" der jetzigen Regierung. In Paris wird Nicolas Sarkozy leise applaudiert haben...