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Diabetiker in Niederösterreich

Von Ernest G. Pichlbauer

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Dr. Ernest G. Pichlbauer ist unabhängiger Gesundheitsökonom und Publizist.

Die einseitige Kündigung des Diabetes-Versorgungsprogramms "Therapie aktiv" durch die NÖ-Ärztekammer hat zu einem Aufschrei geführt.


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Als Argument brachte die Kammer vor, dass die Versorgung nicht verbessert wurde, aber die Bürokratie gestiegen ist. Zudem seien so wenige Patienten in diesem Programm eingeschrieben, dass man nur schwerlich von einem effektiven Versorgungskonzept sprechen kann.

Nun, auch ich war ob dieser Kündigung entsetzt. Egal wie schlecht das Programm aufgesetzt war (absoluter Schnellschuss, damit wir für die EU-Präsidentschaft 2006 international etwas vorweisen können - wäre ja peinlich gewesen, wenn wir zwar Diabetes zum gesundheitspolitischen Schwerpunkt gemacht hätten, aber nachweislich selbst nichts vorweisen können) und wie erfolglos es läuft (nicht einmal zehn Prozent aller Diabetiker nehmen aktuell daran teil), es war eben der erste Versuch, unser System patientenorientierter zu gestalten - so was beendet man nicht einfach so!

Doch vielleicht hat ja die Kammer gar nicht unrecht?

Beginnen wir mit der Diabetiker-Dunkelziffer. Offiziell genannt werden 30 bis 50 Prozent. Anders ausgedrückt: Von den wegen ihres Medikamentenverbrauchs bekannten 300.000 Diabetikern wissen 100.000 bis 150.000 gar nicht, dass sie krank sind. Da unsere Politik wenig an Fakten interessiert ist, gibt es keine Studien, die das belegen - die Dunkelziffer ist eine "Bauchzahl". Andererseits ging eine sehr kleine Studie in Niederösterreich vor zehn Jahren dieser Dunkelziffer nach - und siehe da, hier sind so gut wie alle Diabetiker bekannt. Es gibt in Niederösterreich keine Dunkelziffer - ein eigenartiges Phänomen.

So wie wir schon nicht wissen, wie viele Diabetiker es gibt, wissen wir noch weniger, wie sie versorgt sind. Also, wie viele erblinden, wie vielen werden Füße amputiert, wie viele an die Dialyse müssen, weil ihre Nieren versagen. Lauter blinde Flecken. Aber wir können nachschauen, wie oft sie ins Spital müssen, wohl hauptsächlich deswegen, weil ihr Blutzucker verrückt spielt, der das tut, weil der Patient schlecht begleitet ist.

Die Spitalshäufigkeit ist kein guter, aber ein brauchbarer Parameter, um zu schauen, wie Diabetiker außerhalb des Spitals versorgt sind. Und siehe da, die niederösterreichischen Diabetiker liegen mit riesigem Abstand am seltensten im Spital. Während österreichweit durchschnittlich fünf bis sechs Prozent aller Diabetiker einmal pro Jahr im Spital liegen, sind es in Niederösterreich nur drei - und das passt grosso modo zum Wissen, dass die Spitalshäufigkeit dann, wenn Diabetiker früh erkannt und gut betreut werden, sinkt!

Ist es also so, dass überall in Österreich "Therapie aktiv" wichtig ist, um die Diabetiker-Versorgung zu verbessern, nur in Niederösterreich nicht?

Ja, es sieht danach aus - warum das so ist, weiß kein Mensch. Wahrscheinlich ist es das Honorarsystem der niederösterreichischen Hausärzte, vielleicht aber auch nicht.

Was wir aber für die anstehende Reform lernen können ist, wie wichtig es ist, regionale Versorgungskonzepte zu entwerfen, um regionale Probleme zu lösen. Zentrale, rigide Vorgaben können, egal wie gut durchdacht, mehr irritieren als nützen.