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Diadochenkämpfe in Bagdad

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Mit der konstituierenden Sitzung des neugewählten Parlaments beginnt nun offiziell die Regierungsbildung im Irak.


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Bagdad. Die Iraker kämpfen wieder. Dieses Mal um die Bildung einer neuen Regierung. Dass die Kämpfe jetzt weniger blutig sind als die gegen die Terrormiliz Daesh, davor gegen Al-Kaida, gegen die Amerikaner und Saddam Hussein, ist für manche ein Trost, wenn auch nur ein kleiner.

Denn die Kämpfe um eine neue Regierung sind tiefgreifend und bergen viele Gefahren, die auf den ersten Blick vielleicht nicht sichtbar sind, aber enorm viel Sprengstoff bieten. Es sind Kämpfe zwischen Jung und Alt, zwischen denen, die an ihren Pfründen festhalten, koste es, was es wolle. Und denen, die es satthaben, dass diese Alten sich schamlos ihre Taschen mit dem Geld füllen, das für alle da sein sollte.

Obwohl die Mehrheit der 33 Millionen Iraker unter 25 ist, haben junge Menschen kaum Aufstiegschancen, bekommen keinen Job und nicht einmal genügend Strom und Wasser für den täglichen Gebrauch. Nach dem Ende der Herrschaft der Dschihadisten und der Niederschlagung des Kalifats im Irak steht nun ein Generationenkampf an, dessen Ende noch nicht absehbar ist.

In letzter Minute

Deutlich sichtbar wurde dies gestern im Parlament. Zum ersten Mal nach dem Ende des IS traten 329 gewählte Parlamentarier zusammen, fast vier Wochen nach dem Urnengang und buchstäblich in vorletzter Minute. Die irakische Verfassung setzt eine viermonatige Frist für die konstituierende Sitzung nach Parlamentswahlen. Die wäre am 12. September abgelaufen, und es hätte danach unweigerlich zu Neuwahlen kommen müssen.

Das ist nun abgebogen. Doch das Debakel um die Wahlen hält an und mehrte abermals Zweifel an der politischen Klasse. Wegen eines heftig ausgetragenen Streits um Unregelmäßigkeiten und Stimmfälschungen wurde eine Neuauszählung der Stimmen angeordnet. Diejenigen, die ihr Abgeordnetenmandat verloren, wollten sich nicht geschlagen geben.

Die Neuauszählung veränderte die Sitzverteilung jedoch nur marginal. Neue Parteien und neue Köpfe haben gewonnen. Allen voran die Bürgerbewegung Sa’irun, angeführt vom schiitischen Prediger Moktada al-Sadr, die die meisten Sitze gewann. Die Liste des Politikers Hadi al-Amiri, ebenfalls neu, landete auf dem zweiten Platz, Ministerpräsident Haidar al-Abadi abgeschlagen auf Platz drei.

Was noch vor zehn Jahren zum Bürgerkrieg im Irak führte - Schiiten töteten Sunniten und umgekehrt -, scheint zumindest vorerst gebannt. Am Sonntag hatten sich 16 politische Gruppierungen zum größten Block im Parlament zusammengeschlossen, der bunter nicht sein könnte. Neben al-Sadr als Verhandlungsführer findet man al-Abadi, den säkularen Ex-Übergangspremier Ijad Allawi, sunnitische Gruppierungen, die Kommunisten, kurdische Oppositionsparteien, liberal-demokratische Jugendbewegungen und Amar al-Hakim, Sohn des Gründers des "Obersten Islamischen Rates im Irak". Dem Block gehören 177 Abgeordnete an, was mehr als die Hälfte der 329 Sitze bedeutet und für die politische Mehrheitsfindung ausreicht.

Bis der neue Premier bestimmt ist, wird allerdings noch Zeit vergehen. Der scheidende Parlamentspräsident Salim al-Juburi, ein Sunnit, entschuldigte sich jedenfalls in seiner Abschiedsrede bei den Irakern für Versäumnisse, die die Volksvertreter verantworten müssen. "Der Irak tritt jetzt in eine neue Phase ein", sagt er optimistisch im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".